200 Menschen am 8. Mai in Pankow-Buch. Rede von Kurt Hillmann

8. Mai 2021

Kurt Hillmann am 8. Mai 2021 bei der Kundgebung in Pankow-Buch am Sowjetischen Ehrenmal

Am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, gedachten auch 2021 rund 200 Menschen am Sowjetischen Ehrenmal in Pankow-Buch an die Befreiung vom deutschen Faschismus (siehe Kurzbericht auf Instagram und Vorab-Beitrag). Neben Vertreter:innen von North East Antifascists, Pankower Aktivistische Organisation, der Initiative Frauen* im antifaschistischen Widerstand und den Pankower Frauen* gegen Rechts sowie von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sprach im Verlaufe der ganztägigen Kundgebung auch der Holocaust-Überlebende Kurt Hillmann (VVN-BdA). Ein Interview mit ihm erschien in der 2. Ausgabe der empfehlenswerten Broschüre „Fragt uns, wir sind die Letzten“ (Download). Wir dokumentieren hier seinen Redebeitrag, welche Bedeutung der 8. Mai für ihn hat.

Der 8. Mai. Von Kurt Hillmann

Ich denke heute daran, wie vor 76 Jahren – mit 12 Jahren war ich da versteckt in einem Heim in Süddeutschland – französische Truppen als Befreier in die Stadt einrückten. Sie versorgten uns Kinder mit allem, was nötig war. Damit waren meine Ängste, entdeckt zu werden, nicht mehr da. Das war meine persönliche Befreiung vom Faschismus. Danke allen Alliierten, sie setzten ihr Leben ein, um meines zu retten!

Das geschah millionenfach für unser ganzes Volk. 

Von einer allgemeinen Anerkennung des Tags der Befreiung spricht man in der Bundesrepublik seit dem 40. Jahrestag, 1985. Bis zu diesem Zeitpunkt sprach man vom »Tag der deutschen Kapitulation« oder »vom militärischen Zusammenbruch«. Willy Brandt hatte am 8.Mai 1970 eine Regierungserklärung im deutschen Bundestag anläßlich des 25. Jahrestages abgegeben. Vertreter der CDU/CSU erklärten dazu, »Niederlagen feiert man nicht« und »Schande und Schuld« verdienten keine Würdigung. Erst der sechste Bundeskanzler, Richard von Weizsäcker, hat diesen Tag als »einen Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft« bezeichnet. 



Das war eine Zäsur! 



Während die Länder Niederlande (am 5.5.), Frankreich, Tschechien, Slowakei, Italien (25.4.), Russland und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion (9.5.) den Tag der Befreiung vom Faschismus oder Tag des Sieges über den Faschismus auch als staatliche Feiertage begehen, kann man sich hierzulande zumindest bundesweit nicht dazu durchringen. Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hat den 8. Mai seit 2002 als staatlichen Gedenktag, Brandenburg seit 2015, in Schleswig-Holstein soll es 2021 soweit sein. Berlin hatte nur zum 75. Jahrestag im Jahr 2020 den 8. Mai als einen staatlichen Gedenktag begangen. 



Warum soll es den Tag der Befreiung nicht in der ganzen Bundesrepublik als einen staatlichen Gedenk- und Feiertag geben? 

Es handelt sich schließlich um ein Datum, das – nach sechs Jahren Krieg, Zerstörung und Tod in Europa – eine Herrschaft beendete, die dafür verantwortlich war, dass ca. 66 Millionen Tote zu beklagen waren. Unser Volk war nicht mehr in der Lage, selbst etwas Entscheidendes zur Befreiung beizutragen. Es hatte seine Freiheit gegen einen Führerstaat hingegeben. Natürlich war es eine militärische Niederlage für Deutschland. Aber ein menschenverachtendes System wurde niedergerungen – durch die alliierten Streitkräfte. Sie waren es, die unserem Land die Freiheit wiederbrachten. Ihnen zu danken und die vielen Gefallenen zu ehren, das ist unsere Pflicht. 



Die größten Verluste an menschlichen Opfern hatte die Sowjetunion zu beklagen, circa 27 Millionen und davon 14 Millionen Zivilisten. Wir hatten in Deutschland ca. 6,5 Millionen Tote, davon ca. 1,2 Millionen Zivilisten. 

Wenn sich heute faschistisches Gedankengut wieder öffentlich zeigt, dann muß der Staat mit der ganzen Macht dagegen vorgehen, das gilt aber auch für die Masse unseres Volkes. Die heutige Generation trägt für die Vergangenheit keine Verantwortung. Sie hat aber eine Verpflichtung, alles zu tun, damit sich Faschismus nicht wiederholen kann . Das ist eine Lehre aus der Geschichte und das sind wir den vielen Opfern schuldig. 

Ich habe Zeilen eines KZ-Häftlings gelesen, die er im Lager schrieb: 

»Fürchte Dich nicht vor Deinen Feinden, schlimmstenfalls können sie Dich töten. Fürchte Dich nicht vor Deinen Freunden, schlimmstenfalls können sie Dich verraten. Fürchte die Gleichgültigen, weder töten noch verraten sie.« Erst durch ihre Gleichgültigkeit machen sie Mord und Verrat möglich.



Das sind die Gründe, weshalb ich einen staatlichen Gedenktag zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus 1945, für überfällig halte.