Gedenken an den 8. Mai in Pankow

17. Mai 2020

Am 8. Mai wurde an zahlreichen Orten dem 75. Jahrestag der Befreiung von Nationalsozialismus in kleinem Kreise gedacht – ein Gedenk- und Feiertag, der eigentlich mit besonders vielen Teilnehmer*innen geplant war. Pankower Antifaschist*innen haben trotz der aktuellen Beschränkungen ein würdiges Ereignis am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Buch gestaltet – und so auch verhindert, dass Nazis dort ihr Unwesen an diesem Tag treiben.

Die VVN-BdA bei der Kranzniederlegung am 8. Mai 2020 in Buch. Foto: VVN-BdA

Kurt Hillmann, ein Überlebender der NS-Verfolgung, hat uns bereits zuvor eine Videobotschaft gesendet.

Am sowjetischen Ehrenmal in Buch gab es Musik, u.a. von Olaf Ruhl und Reinhold Andert.
Zahlreiche Redebeiträge waren zu hören, darunter von

  • Elke Breitenbach (Sozialsenatorin, DIE LINKE)
  • Bettina Jarrasch (MdA, Bündnis 90/Die Grünen)
  • Rona Tietje (Bezirksstadträtin, SPD)
  • Sören Benn (Bürgermeister von Pankow, DIE LINKE)
  • Gisela Grunwald (VVN-BdA Pankow e.V. & DIE LINKE)
  • Sergej Lagodinsky (EU-Abgeordneter, Bündnis 90/Die Grünen)
  • sowie weiteren Redner*innen der VVN-BdA Pankow e.V., der Berliner Jusos, des Bündnis Pankower Frauen* gegen Rechts, vom Verein Roter Stern Nordost und den Northeast Antifascists.

Das Bündnis Pankower Frauen* gegen Rechts bei Gedenken in Buch. Foto: VVN-BdA

Im Pankower Florakiez organisierten jüngere Antifaschist*innen eine historische Spurensuche. An den Tagen zuvor wurden an zahlreichen Orten in Pankow Transparente und Plakate aufgehängt.
Natürlich fanden auch in anderen Berliner Stadtteilen Gedenkfeiern statt.

Nachfolgend dokumentieren wir die Rede von Gisela Grunwald.

Gisela Grunwald am Tag der Befreiung in Buch. Foto: VVN-BdA Berlin-Pankow e.V.

Den Krieg zu vergessen, ist im Alter unmöglich – Rede von Gisela Grunwald

Alle Menschen, die die Befreiung vom Faschismus erlebt haben, sind heute älter als 75 Jahre. Ihre Kindheit und Jugendzeit wurde vom Krieg beeinträchtigt, die Erinnerungen treten im höheren Lebensalter wieder in den Vordergrund. So funktioniert unser menschliches Gedächtnis. Deshalb gibt es für alle, die den Krieg erlitten, keinen Schlussstrich. Dieser wird zynisch von denen gefordert, die am Krieg und dem Wiederaufbau nach der Zerstörung verdienten und außerdem noch – wie jetzt Herr Gauland – durch Kriegsende Machtverlust beklagen.

Und es darf auch niemals ein Vergessen geben: Im Gegenteil, nehmen wir diese persönlichen Erinnerungen an die Anfänge und Folgen des Faschismus ernst. Ein Glück für Betroffene und Zuhörende, wenn diese traumatischen Erlebnisse ausgesprochen werden können, wofür manchmal Jahrzehnte vergehen mussten.

Hören wir der polnischen Frau zu, die als Jugendliche im KZ Uckermark zu schwerster Arbeit gezwungen und ständig zur Eile getrieben wurde, und sich ihr Leben lang immer gehetzt fühlt.

Denken wir nach, warum ein deutscher Mann, der in Frankreich als Partisan kämpfte, nach einem Schlaganfall über diese Zeit wieder in französischer Sprache berichtet.

Verstehen wir die Menschen, die als Verfolgte in der Illegalität leben mussten und als Kind versteckt waren, und die im Alter noch mal die damals ausgestandenen Ängste erleben, eingeschlossen und bedroht zu sein.

Hören wir der alten Dame zu, die als Mädchen mit Verhaltensbesonderheiten in eine Anstalt eingewiesen wurde und erlebte, dass ihre Mitbewohner*innen von einem Arztbesuch niemals zurückkehrten, weil dieser sie als lebensunwert zur Tötung aussonderte.

Begreifen wir, warum eine Mutter, die als Jugendliche im Lazarett eingesetzt – die Schreie der verwundeten Soldaten hörte, den Gedanken, ihre Söhne und Enkel würden zu Kriegseinsätzen verpflichtet werden, nicht ertragen kann.

Heute gedenken wir der sowjetischen Soldat*innen, die uns von der faschistischen Herrschaft befreiten. Bedenken wir auch: Viele von ihnen hatten ihre eigenen Familien verloren, weil die deutsche Wehrmacht die Zivilbevölkerung ganzer Ortschaften ausgerottet hatte.

Hauptsache ist, im Frieden zu leben!

Das wird von Älteren mehr ausgesprochen, als von uns Nachgeborenen, denen das selbstverständlich erscheint.

Deshalb wollen wir uns die Erinnerungen der Überlebenden zu Herzen nehmen, um rassistischen Kräften nachdrücklicher entgegenzutreten.

Deshalb lehnen wir atomare Aufrüstung ab. Mit den unvorstellbaren Summen, die für militärische Rüstung ausgegeben werden, könnte stattdessen der Pflegenotstand beseitigt werden.

Deshalb: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!