„Pankower Lichterkette“: 500 Menschen bei Kundgebung am Holocaust-Gedenktag. Vereinsredebeitrag online

27. Januar 2020

Lichterkette am 27.1.2020 (Pankower Dorfanger)

Anlässlich des international begangenen Holocaust-Gedenktages haben sich am Abend des 27. Januars 2020 rund 500 Menschen an einer Lichterkette im Berliner Bezirk Pankow beteiligt (RBB-Bericht). Die Veranstaltung begann um 18 Uhr am ehemaligen Jüdischen Waisenhaus. Ausgerichtet wird diese Lichterkette zum nunmehr 22. mal von der Kommission für Bürgerarbeit, das Gedenken unterstützen VVN-BdA Pankow e.V. und die Evangelische Kirchengemeinde Alt-Pankow. Ein Vertreter unseres Vereins hielt auch einen Redebeitrag (siehe unten). Anlass der Begründung dieses Erinnerns war neben dem Gedenktag selbst der Einzug der neonazistischen „Republikaner“ im Jahr 1999 in das Gartenhaus der zwangs“arisierten“ jüdischen Pankower Unternehmerfamilie Garbáty.


Die Teilnehmer/innen bildeten im Anschluss an die Auftaktkundgebung einen Demonstrationszug und veranstalteten nach einem Zwischenstopp an besagtem Gartenhaus in der Berliner Straße eine Schweigeminute in unmittelbarer Nähe zur Kirche „Zu den Vier Evangelisten“. Hier fand gegen 19 Uhr eine ebenso gutbesuchte Andacht anlässlich der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27.Januar 1945 durch sowjetische Truppen statt, bei der auch der Pankower Holocaustüberlebende Kurt Hillmann zu den Anwesenden sprach.

Lichterkette am 27.1.2020 (Zwischenkundgebung am ehemaligen Gartenhaus der Familie Garbáty)

Redner/innen der „Lichterkette“ waren neben Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Die Linke) auch Vertreter/innen des Unabhängigen Jugendzentrums Pankow (JUP e.V.), der Seenotrettungsinitiative Seawatch und der Pankower VVN-BdA. Sören Benn forderte angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Kriminalisierung von Antifaschismus, diesen endlich in der Verfassung festzuschreiben. Eine Vertreterin vom JUP e.V. stellte klar, dass offene Jugendarbeit in ihren Augen ein klares Bekenntnis gegen rassistische und antisemitische Ressentiments erfordere, dafür stehe auch das JUP. Zudem sprach sie sich gegen eine Beteiligung der AfD an Gedenkveranstaltungen aus, wie sie erst am 25. Januar im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf mittels Polizei durchgesetzt wurde. Die Anwesenheit der AfD war zuletzt als Verhöhnung der NS-Opfer kritisiert worden. Ein Redner von Seawatch bat um breite Unterstützung für die Seenotrettung und erklärte es zur Pflicht aller, mit dafür zu sorgen, dass niemand die Flucht vor Krieg und Hunger mit seinem oder ihrem Leben bezahlen müsse. Der Vertreter der VVN-BdA erinnerte in seiner Rede an die jüngsten Todesopfer von Naziterror in der BRD, skandalisierte den Entzug der Gemeinnützigkeit der Bundesvereinigung der VVN-BdA und warb um Solidarität bei den Teilnehmenden.

Problematisiert wurde auch die Anwesenheit eines rechten Pankower BVV-Verordneten auf der Gedenkkundgebung, der durch den lautstarken Protest von Teilnehmer/innen zum Verlassen des Ortes bewegt werden konnte.

Im folgenden dokumentieren wir den Redebeitrag, den ein Vertreter der VVN-BdA Berlin-Pankow e.V. auf der Kundgebung hielt:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Teilnehmende dieser Kundgebung,

zum 75. Mal jährt sich heute, am 27. Januar, die Befreiung des nazistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Im Jahre 1996 wurde der 27. Januar in Deutschland zum offiziellen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Später, im Jahre 2005, erklärten die Vereinten Nationen den 27. Januar zum internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust.

Seit 1999 findet alljährlich zum 27. Januar diese Kundgebung gegen Rassismus und Antisemitismus statt. Jahr für Jahr versammeln sich hunderte Menschen zum Gedenken an die Opfer der Nazidiktatur. Vielleicht sollten wir in unser Gedenken auch all diejenigen einschließen, die nach dem Ende des Naziregimes 1945 zu Opfern rassistischer, antisemitischer und faschistischer Gewalt wurden. Stellvertretend seien hier nur genannt: Walter Lübcke, der christlich-demokratische Politiker, den Neonazis am 2. Juni 2019 ermordeten, sowie Jana L. und Kevin S., die am 9. Oktober 2019 in Halle erschossen wurden. Der Täter von Halle war zuvor daran gescheitert, ein Blutbad unter jüdischen Menschen in einer Synagoge anzurichten.

Walter Lübcke, Jana L. und Kevin S. waren die vorläufig letzten von Dutzenden Opfern des deutschen Rechtsterrorismus nach 1945.

[Moment des Gedenkens]

Meine Damen und Herren, liebe Zuhörende, unsere alljährliche Kundgebung zum 27. Januar ist in ihrer Form einzigartig in Berlin und ein wichtiges, zentrales Element der demokratischen Erinnerungskultur Pankows. Die Pankower Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) war von Beginn an, seit 1999, an dieser Tradition beteiligt. Wir von der VVN-BdA werden uns hier auch weiter einbringen.

Wir möchten uns an dieser Stelle bei der Kommission für Bürgerarbeit Pankow, bei der Evangelischen Gemeinde Alt-Pankow und allen weiteren Verbündeten für die langjährige Zusammenarbeit bedanken. Insbesondere möchten wir danken für die Unterstützung bei unserem Einsatz gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit, mit dem die VVN-BdA auf Bundesebene seit Anfang Dezember 2019 in ihrer Existenz bedroht wird.

Immer war es uns von der VVN-BdA ein Anliegen, die Erinnerung an die Schrecken der Nazivergangenheit mit der Warnung vor aktuellen Gefahren von rechts zu verbinden. Dies wollen wir auch heute wieder tun.

An verschiedenen offiziellen Gedenkveranstaltungen zum 27. Januar beteiligt sich in Berlin auch die AfD. Dagegen regt sich einerseits Protest, andererseits wird die AfD mitunter wie selbstverständlich integriert. Auch und gerade auf dem Felde der Geschichtspolitik und der Erinnerungskultur wird sich entscheiden, ob sich eine rassistische, nationalistische, in weiten Teilen rechtsextreme Partei wie die AfD in der Gesellschaft etablieren und normalisieren kann. Mit der Teilnahme an offiziellen Gedenkveranstaltungen wird die Normalisierung und Etablierung der AfD vorangetrieben. Mit der plakativen Beteiligung am Gedenken für die Opfer des Naziregimes will die AfD kaschieren, dass sie in wesentlichen Punkten wie Nationalismus und Rassismus eine ideologische Nähe zum Nazifaschismus aufweist.

Die Beteiligung der AfD am Gedenken ist umso empörender, als Spitzenvertreterinnen und -vertreter dieser Partei seit langem einen Frontalangriff gegen die demokratische Erinnerungskultur führen. Als Belege hierfür ließen sich zahlreiche skandalträchtige Äußerungen von AfD-Größen wie Gauland und Höcke nennen. Die Gauland und Höcke wollen den völkisch-autoritären Umbau von Gesellschaft und Staat; sie wollen eine neue deutsche Großmachtpolitik. Doch noch ist in Teilen der Gesellschaft eine bestimmte Haltung verankert, eine Lehre aus der Geschichte, die sich mit den Worten „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ beschreiben lässt. Die AfD will dieses „Nie wieder!“ aushebeln. Während also ein Björn Höcke die Aufarbeitung der Nazivergangenheit vor jubelndem AfD-Publikum als – Zitat – „dämliche Bewältigungspolitik“ schmäht, will derselbe Höcke am 27. Januar in der Mahn- und Gedenkstätte ehemaliges KZ Buchenwald am Gedenken teilnehmen.

Doch die Gedenkstätte Buchenwald erteilte Höcke ein Hausverbot. Diese Handlungsweise ist vorbildlich! Die Forderung der VVN-BdA, die Forderung vieler Überlebender des Naziterrors und ihrer Nachkommen ist klar: „Kein Gedenken an die Opfer des Naziregimes zusammen mit der AfD!“

Selbstverständlich gilt diese Forderung auch für alle anderen Vertreterinnen und Vertreter der politischen Rechten, einer rassistischen Politik und Propaganda. Sie gilt auch für Tobias Thieme, der früher der AfD-Fraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung angehörte, nunmehr fraktionslos ist und sich irgendwo dahinten unter die Teilnehmenden dieser Kundgebung gemischt hat. Herr Thieme, Sie sind hier nicht erwünscht! Verlassen Sie die Kundgebung!

Die Forderung „Kein Gedenken an die Opfer des Naziregimes zusammen mit der AfD!“ vertraten junge und alte Antifaschistinnen und Antifaschisten auch vorgestern, am 25. Januar, bei einer Protestkundgebung am Parkfriedhof Marzahn. Der Protest richtete sich gegen die Beteiligung von AfD-Politikerinnen und -Politikern am Stillen Gedenken für die Opfer der Nazis. Doch das Stille Gedenken ging im Gebell von Polizeihunden unter. Polizei eskortierte die AfD zum Gedenkort und schloss Opfer des Naziregimes und deren Nachfahren aus.

Die Polizei blockierte den Zugang zum Gedenkort und ließ nur ausgewählte Personen passieren. Mehreren überlebenden Verfolgten, Angehörigen und Nachkommen wurde die Teilnahme handgreiflich verwehrt. Sie wurden teilweise rabiat zurückgeschubst. Die Eltern starben also in der Hinrichtungsstätte Plötzensee, die Verwandten im Ghetto Riga, sie litten im KZ Ravensbrück, waren in die Emigration getrieben worden – doch die Stimmen der Nachkommen waren beim Gedenken nicht erwünscht. Antifaschistinnen und Antifaschisten sollten draußen bleiben.

Wir fragen: Wer war für diesen Polizeieinsatz verantwortlich? Und wer zieht die Verantwortlichen zur Rechenschaft?

Auch wir wünschen uns ein würdiges Gedenken. Auch wir respektieren ein stilles Gedenken. Doch eine Beteiligung der AfD am Gedenken läuft auf die Verhöhnung der Opfer hinaus.

Wir bleiben dabei – Kein Gedenken an die Opfer der NS zusammen mit der AfD! Die politisch Verantwortlichen in Berlin und in den Berliner Bezirken rufen wir auf: Laden Sie die AfD nicht ein, sondern laden sie die AfD aus!