Bericht zur 17. Lichterkette
13. Februar 2015
Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar ist in Deutschland seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag.
Am 27. Januar 1945 – also vor 70 Jahren – wurde das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Aus diesem Anlass hat die VVN-BdA Pankow die Pankower Bürger/-innen aufgerufen an der 17. Lichterkette teilzunehmen.
Vor dem jüdischen Waisenhaus trafen sich um 18:00 mehr als 250 Bürger/-innen, die trotz Kälte den Ansprachen des stellv. Bürgermeister Kirchner und unseres Vorsitzenden Mathias Wörsching folgten und anschließend zur Kreuzung Breite Straße/Berliner Straße liefen, um dort eine Schweigeminute abzuhalten.
In der Pankower Kirche fand danach ein sehr gut besuchtes Chorkonzert des Kurella-Chores und des Chores des Erich-Fried-Gymnasiums unter Leitung von Andreas Bunckenburg statt.
Wir dokumentieren nachfolgend die Rede eines Vertreters der VVN-BdA Pankow.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
Seit vielen Jahren habe ich nun schon die Ehre, bei dieser Kundgebung zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz eine Rede im Namen der VVN-BdA Pankow zu halten. Doch noch nie war es so schwer für mich wie dieses Jahr, einen thematischen Schwerpunkt zu setzen. Denn wie viel ist nicht passiert in den letzten Monaten:
Das rechte Lager in Deutschland hat sich neu formiert und ist mächtig angewachsen.
Mit rechten Parolen schreitet die „Alternative für Deutschland“ (AfD) von Wahlerfolg zu Wahlerfolg.
Unter der Bezeichnung „Hooligans gegen Salafisten“ rottete sich der rassistische Mob zu Tausenden zusammen und verbreitete Angst und Schrecken.
Als „PEGIDA“ und unter ähnlichen Bezeichnungen marschieren Zehntausende jede Woche. Eine rechte außerparlamentarische Bewegung auf der Straße ist entstanden.
In zahlreichen Ortschaften und Stadtvierteln landauf, landab finden sich Neonazis und rechte Wutbürger zusammen, um gegen Flüchtlingsunterkünfte Stimmung zu machen.
Und wie steht es um die Sicherheit der jüdischen Mitmenschen in Europa? Nur wenige Tage ist es her, da wählte ein Mörder in Paris die Kunden eines Supermarktes für koschere Lebensmittel als Ziel und tötete mehrere Juden.
Es ist nicht das erste Mal, das blutiger Terror dieser Art zuschlug. Denken wir an die erschossenen Menschen im jüdischen Museum von Brüssel von 2014 und an die ermordeten Kindern der jüdischen Schule in Toulouse im Jahr 2012. Zehntausende europäische Juden, auch hier in Berlin, haben Angst, eine offen jüdische Einrichtung zu besuchen oder die Kippa und den Davidsstern offen zu tragen. Ein großer Teil der europäischen Juden denkt wieder daran, auszuwandern, auch hier in Deutschland. Tausende jüdische Menschen haben Frankreich in letzter Zeit verlassen. Das ist die bittere Realität jüdischen Lebens in Europa – 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz!
Die größte, tödliche Gefahr für die Jüdinnen und Juden Europas, da gibt es nichts herumzudeuteln, geht aktuell von militanten, fundamentalistischen, islamischen Strömungen aus, die oft unter dem Begriff des Dschihadismus zusammengefasst werden. Der Dschihadismus ist eine gar nicht mehr so neue Form der globalen extremen Rechten, der wir ebenso entgegen treten müssen wie dem althergebrachten Neonazismus und Faschismus. Neonazismus und Dschihadismus teilen sehr weitgehend die gleichen Feindbilder. Sie sind gegen alles Linke, Demokratische und Liberale, und auch gegen die Gleichberechtigung der Frauen und der Homosexuellen. Wie den Neonazis gelten auch den Dschihadisten die Juden als Inbegriff und Symbol alles dessen, was sie hassen, und werden deswegen zu bevorzugten Zielen der Gewalt.
Von interessierter Seite wird ständig versucht, uns einzureden, dass der Dschihadismus etwas Fremdes, Urtümliches sei, das von außen her in Europa eindringe und die europäischen Gesellschaften bedrohe. Lassen wir uns davon nicht täuschen! Der Dschihadismus ist zutiefst modern, und er entsteht aus dem Inneren der westlichen Gesellschaften. Wie der Faschismus ist der Dschihadismus eine menschenverachtende Reaktion auf die Krisen des modernen Kapitalismus. Die jungen Männer und Frauen, die dem Dschihadismus folgen, sind hierzulande aufgewachsen und geprägt worden. Viele von ihnen sind Konvertiten deutscher Abstammung; viele hatten vor ihrer Fanatisierung kaum Berührungspunkte mit traditionellen muslimischen Denk- und Lebenswelten.
Wenn einst mit Recht gesagt worden ist: „Der Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft“, so ließe sich ähnliches auch vom Dschihadismus zeigen. Die Vorstellungen, mit denen der moderne Antisemitismus arbeitet, sind in der ganzen Gesellschaft verbreitet. Dies gilt für die traditionellen Bilder der Judenfeindschaft ebenso wie für verzerrte und einseitige Wahrnehmungen Israels und des Nahostkonflikts und auch für die unzähligen Verschwörungstheorien, die sich in ungeheurem Ausmaß vor allem über das Internet verbreiten. Das Gedankengut des Antisemitismus lässt sich in bürgerlichen und akademischen Milieus ebenso nachweisen wie in bildungsfernen Schichten, unter Neonazis ebenso wie bei den Anhängern von AfD und PEGIDA, unter jungen deutschen Muslimen genauso wie bei vielen Leuten, die sich für links halten.
Meine Damen und Herren, liebe Anwesende, wir brauchen nicht weit zu gehen, um zu erkennen, wie groß die Gefahren sind: Im Ortsteil Buch von Pankow treibt nun schon seit Jahren eine Neonazi-Clique ihr Unwesen. Im Zuge der Hetze gegen Flüchtlinge konnte sie ihren Anhang vergrößern und bei einem Teil der Einwohnerschaft Buchs auf offene Ohren stoßen.
Erst kürzlich fand in Prenzlauer Berg ein sogenanntes „Kennenlerntreffen“ rechter Hooligans statt, um einen Berliner HOGESA-Ableger zu gründen.
Seit einiger Zeit treffen sich in Berlin-Mitte rechte Wutbürger, rechte Hooligans und Neonazis zu den Demonstrationen des Berliner PEGIDA-Ablegers.
Im Sommer 2014, während des Krieges im Gaza-Streifen zwischen Israel und der Hamas, fanden in Berlin zahlreiche antiisraelische Demonstrationen statt. Der Mob skandierte, von der Polizei ungehindert, antisemitische Parolen und attackierte jüdische Menschen und Einrichtungen oder was er dafür hielt. Der Nahostkonflikt wurde zum Anlass und zum Vorwand genommen, um jüdisches Leben anzugreifen.
Liebe Anwesende, wir werden dieses Jahr noch viele Gründe haben, gemeinsam zu demonstrieren. Dabei brauchen wir nicht zu verzagen! Die Rassisten und Antisemiten formieren sich wie schon lange nicht mehr, aber auch die Gegenkräfte erleben einen Schub. Viele Zehntausende demonstrieren im ganzen Land gegen „HOGESA“ und „PEGIDA“. Allerorten, so auch in Pankow und in Buch, zeigen Menschen ihre Solidarität mit Geflüchteten.
Mein Verband, die Vereinigung usw. VVN-BdA, hat kurz nach den dschihadistischen Morden von Paris eine Erklärung verabschiedet, mit der ich hier enden möchte:
„Die VVN-BdA spricht den Angehörigen der bei den Anschlägen in Paris Gemordeten ihr tief empfundenes Mitgefühl aus. Es ist bezeichnend, dass sich der menschenverachtende und demokratiefeindliche Terror gegen Linke und jüdische Einrichtungen richtet. Beides, Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit, teilen die Attentäter mit jenen, die ihre Taten zum Anlass nehmen, nach einem autoritären Staat zu rufen.
Dagegen stehen wir mit Millionen Menschen in Europa für die Verteidigung der Demokratie. Die Errungenschaften der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als Maßstab für eine Gesellschaft, die allen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, müssen gegen Salafisten, Antisemiten, Rassisten und Faschisten, gegen PEGIDA- und HOGESA-Bewegungen verteidigt werden.“
Ich danke Ihnen und Euch für die Aufmerksamkeit, und wünsche uns allen viel Kraft dieses Jahr.