9. September: Tag der Erinnerung und Mahnung
29. August 2018
11.00 | Auftaktkundgebung „Kein Schlussstrich“ am Abgeordnetenhaus von Berlin, es reden u.A. Martina Renner (MdB), Cansel Kiziltepe (MdB) und die NSU-Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens
12.00 | Antifaschistischer Fahrradkorso, vorbei an Stätten von Verfolgung und Widerstand
14.00 | Fest der Begegnung im Begegnungszentrum DTK Wasserturm in Kreuzberg
Kein Schlussstrich!
Überlebende der Konzentrationslager und Zuchthäuser begründeten im Jahr 1945 die Tradition, im September der Opfer des Faschismus zu gedenken. In den letzten Jahren haben sie ihr Vermächtnis in unsere Hände gelegt. Im Jahr 2018 begehen wir den Gedenk -und Aktionstag, wie seit vielen Jahren, am 2. Sonntag im September mit einer antifaschistischen Kundgebung.
Das Motto „Kein Schlussstrich“ haben wir den zahlreichen Kampagnen zum NSU-Komplex entlehnt und durch unsere Forderung an die Berliner Mitglieder des Abgeordnetenhauses auch in Berlin endlich einen Parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschuss einzurichten, ergänzt.
Die Forderung nach Gerechtigkeit und Aufklärung der nazistischen Verbrechen ist die Forderung der Angehörigen der durch den NSU Ermordeten heute und war die Forderung der Naziverfolgten und ihrer Angehörigen 1945.
Heute lesen wir die Namen Enver Simsek oder Mehmet Turgut auf den Schildern der Demonstrant*innen, 1945 forderten Antifaschist*innen Aufklärung über die Morde an Willy Scheer oder Arthur Illgen und allen anderen Opfern des Faschismus.
Die Opfer des Naziregimes und ihre Angehörigen hatten die Hauptlast und -initiative zur Aufklärung der Verbrechen des deutschen Faschismus zu tragen. Die Mehrheitsgesellschaft, das Täter*innenkollektiv sehnte sich nach einem Schlussstrich, verdrängte die Schuld und lehnte die eigene Verantwortung für den millionenfachen Mord ab. Die Verantwortung wurde auf eine kleine, eingegrenzte und pathologisierte Täter*innengruppe abgeschoben – Hitler, die NSDAP, die SS.
Heute folgen die Gesellschaft und die Behörden Deutschlands eingeübten Verhaltensweisen ihrer jüngeren Geschichte. ie Betroffenen des NSU-Terrors haben große Hoffnungen in den Prozess gesetzt. Sie wollen wissen, warum ihre Angehörigen sterben mussten und wer den NSU an den Tatorten unterstützte. Sie erwarten Aufklärung über die Verstrickungen von Verfassungsschutz und Polizei in den NSU-Komplex.
All das hat der Prozess in München nicht geleistet. Die betroffenen Nebenkläger*innen und ihre Anwält*innen haben immer wieder versucht, diese Aspekte in den Prozess hineinzutragen. Die Bundesanwaltschaft hält dagegen bis zum Ende an ihrer – widerlegten – These vom NSU als “isoliertem Trio” fest. Viele Fragen zu den Taten des NSU, zum Netzwerk und der Rolle der Behörden wurden im Münchner Prozess nahezu systematisch ausgeklammert und sind bis heute nicht aufgeklärt.
Der anschwellende „Aufarbeitungsstolz“ und das Selbstlob wie auch die staatliche Gedenk- und Identitätspolitik zielen auf nationale Selbstvergewisserung. Zugleich mehren sich Angriffe von Rechtspopulisten und Neonazis auf Flüchtlinge und ihre Helfer*innen und auch auf Stolpersteine, Denkmäler, Gedenkstätten und die gegen viele Widerstände errungene Erinnerungskultur.
Gerade der mit dem Holocaust und zahlreichen, längst noch nicht „aufgearbeitete“ NS-Menschheitsverbrechen begangene Zivilisationsbruch fordert dazu heraus, das Erinnern an die NS-Vergangenheit immer wieder aufs Neue zu einer Quelle gesellschaftlicher „Selbstbeunruhigung“ zu machen.
Damit kann sie zum Ausgangspunkt einer kritischen Reflexion der Gegenwart werden.
Geschichtsbewusstsein benötigt das Wissen um das Geschehene und den vergleichenden Blick auf das Heute: Was ist da ähnlich?
Die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschist*innen [VVN-BdA], ist als unabhängige und überparteiliche Institution dem Andenken an die Verfolgten des Faschismus und den Widerstandskämpfer*innen verpflichtet.
Ihr Schwur ist uns Mahnung: Nie wieder Faschismus und Krieg!
August 2018, Berliner VVN-BdA e.V.