Bericht Podiumsdiskussion „Heime, Lager, Unterbringung“ in Berlin- Buch

28. April 2015

Nicht selten verläuft die Diskussion um geplante oder bestehende Unterkünfte rassistisch ab oder wird von Neonazis genutzt und instrumentalisiert. Mit der Veranstaltung „Heime, Lager, Unterbringung“ im Bürgerhaus Buch sollte eine generelle Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie Geflüchtete in Berlin untergebracht sind, angestoßen werden.

Das dieses Thema brandaktuell ist, bewies die Resonanz der Veranstaltung: Rund 80 Anwohner*innen besuchten am 15. April die Podiumsdiskussion des Bündnisses Gemeinsam gegen Rassismus Pankow. Neben wichtigen Hintergrundinfos über die Flüchtlingspolitik des Senats und der Perspektive von Geflüchteten wurde besonders die Frage diskutiert, auf welche Art und Weise Flüchtlinge in Berlin-Buch unterstützt werden können.
Organisiert wurde die Veranstaltung vom Bündnis Gemeinsam gegen Rassismus Pankow, das sich Ende letzten Jahres aufgrund der rassistischen Mobilisierung in der Auseinandersetzung um geplante Flüchtlingsunterkünfte gegründet hat. In dem Bündnis sind neben antifaschistischen Gruppen aus dem Bezirk auch Parteijugendorganisationen organisiert.
Als erstes nutzte Christian Schröder die Veranstaltung, um die Zuschauer*innen über die Politik des Berliner Senats und die aktuelle Unterbringungsmisere zu erzählen. Christian Schröder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für die LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus. Er beschrieb das „aktuelle Chaos“, das zurzeit in Berlin besteht, als ein hausgemachtes Problem, da es keine vernünftige Vorsorge in den letzten Jahren seitens des Senats gab. Um es zu verdeutlichen, nannte er eindeutige Zahlen: Mitte 2010 lebten 10.000 Geflüchtete in Berlin, 1.500 davon in Sammelunterkünften, der Rest wohnte in privaten Wohnungen. Heute sind es 18.000 Flüchtlinge wovon mittlerweile 70% in Sammelunterkünften leben müssen. Der knappe Wohnungsmarkt und die fehlende Unterstützung bei der Wohnungssuche sind als Ursache dafür zu sehen. Christian Schröder fasste zusammen, was der Alltag in einer Sammelunterkunft für Geflüchtete bedeutet: Isolation und eine Lebensführung, die nicht selbstständig gestaltet werden kann.
Die Politik des Senats kann demnach als Hauptursache der aktuellen Situation gesehen werden und nicht die ansteigenden Flüchtlingszahlen, wie gerne behauptet wird. Anstatt Vorsorge zu treffen und in den eigenen Wohnungsmarktsegment zu finanzieren, wurden große Massen- Notunterkünfte eingerichtet, die keinen sozialpolitischen Standard entsprechen. Außerdem berichtete der Referent werde die „Verweildauer“ in den Unterkünften immer länger, sodass die Bezeichnung „Notunterkünfte“ nicht mehr zutreffend ist. Das Ergebnis von dieser Politik kann dann in den Traglufthallen in Berlin- Mitte, in der Belegung von Turnhallen oder Containereinrichtungen beobachtet werden. Sozialpolitische Standards, die eine halbwegs menschenwürdige Unterbringung garantieren, sind nicht vorhanden.
Turgay Ulu sprach danach, als zweiter Referent, über die Perspektive und Forderungen von Geflüchteten im Kontext von Sammelunterkünften. Er beschrieb das „Lagersystem als ein Gefängnis ohne Mauern“ und rückte damit die Perspektive von Geflüchteten in den Mittelpunkt. Turgay beteiligte sich im Jahr 2012 an den Flüchtlingsmärschen von Würzburg nach Berlin und engagierte sich danach am Oranienplatz in Berlin- Kreuzberg. Davor lebte er mehrere Jahre in verschiedenen Flüchtlingsunterkünften in Deutschland. Seine Forderung von ihm und seinen Genoss*innen sind neben der Abschaffung der Residenzpflicht, dem Abschiebestopp auch die Aufhebung des Lagersystem. Denn diese bedeuten für die Menschen, die darin wohnen, eine enorme Isolation und Einschränkung im täglichen Leben.
Als dritte Person auf dem Podium referierte Manfred Nowak über die derzeitige Situation in Berlin aus der Perspektive der AWO, die Träger mehrerer Flüchtlingsunterkünfte ist. Manfred Nowak ist Vorstandsvorsitzender der AWO Berlin-Mitte. Auch die Flüchtlingsunterkunft in Berlin- Buch, das AWO Refugium Buch, wie das Containerdorf auf dem Gelände der Brunnengalerie künftig heißen wird, steht unter der Leitung seiner Kollegin.
Er verkündigte, dass zum gegenwärtigen Stand, am 23. April die ersten, der 480 Flüchtlinge, in die 15 Quadratmeter großen Zimmer einziehe können. Als Träger der AWO betonte er, dass eine Unterkunft ein „gesamtgesellschaftliches Anforderung“ sei. Daher begrüße er auch, wenn es „breite Unterstützungsnetzwerke“ an verschiedenen Orten bestehe. Auch wenn in der Vergangenheit Kritik gegen die Person Nowaks gegeben hatte, wurde nochmal deutlich, welche Einflüsse die Leitung einer Unterkunft auf die direkte Flüchtlingsunterstützung ausüben. Anwohner*innen, die sich in der Flüchtlingsunterkunft in Berlin- Pankow in der Mühlenstraße engagieren, verdeutlichten dies mit einem Lob an die Heim- Leitung. Es wurde über eine kooperative Zusammenarbeit mit der Awo- Leitung berichtet, die Willkommensinitiativen unterstütze. Anders als private Heimbetreiber verfügen die Unterkünfte, mit einer städtischen oder caritativen Leitung über die geforderten Sozialstandards und sind in der Regel kooperativer mit Unterstützungsnetzwerken.
Wie wichtig und sinnvoll ein breites Unterstützungsnetzwerk ist, wurde auf dem Podium durch Anna und Lena gezeigt, die sich im Interkulturellen Café in Berlin-Pankow engagieren. Das Café findet alle zwei Wochen in Jugendzentrum Pankow, in der Florastraße 84 statt, und bietet Geflüchteten aus der Mühlenstraße einen Ort der Begegnung und des Austauschs. Die beiden machten deutlich, auf wie unterschiedliche Art und Weise Unterstützung aussehen kann. Mit dem Verweis auf die Solizimmer-Initiative (http://solizimmer.blogsport.de) oder die Kampagne Flüchtlinge-Willkommen (http://www.fluechtlinge-willkommen.de) wurde deutlich, dass jede*r Einzelne in der Lage ist, geflüchteten Menschen ganz konkret eine Alternative zu der Isolation in Sammelunterkünften zu bieten.
Die Podiumsdiskussion war die erste Veranstaltung der Kampagne „Zeit für Veränderung“, die momentan in Berlin-Buch vom Bündnis Gemeinsam gegen Rassismus Pankow organisiert wird. In den kommenden Monaten werden wir monatlich eine Veranstaltung in den Räumlichkeiten des Bürgerhauses organisieren – wir wollen damit einen Raum gestalten, indem ein deutliches Zeichen gegen die rassistische Stimmungsmache und Neonazis gesetzt wird.