Hamburger Erklärung zum 8. Mai 2015

5. Februar 2015

Nachfolgend dokumentieren wir die Hamburger Erklärung zum 8. Mai 2015

8. Mai 1945 – Tag der Befreiung Chance für Frieden und Demokratie in Europa. Am 8. Mai 1945 wurde nahezu ganz Europa von Faschismus und Krieg befreit. In Deutschland erlebten in erster Linie die überlebenden Verfolgten und Widerstandskämpfer_innen diesen Tag als Befreiung. Aber auch wir alle, die wir heute leben, verdanken die Chance eines Lebens in Frieden, Freiheit und Vielfalt den Siegern des 8. Mai.

Die alliierten Streitkräfte, unter denen die Rote Armee mit Abstand die größte Last des Krieges in Europa zu tragen hatte, sind und bleiben auch unsere Befreier. Mit besonderer Dankbarkeit erinnern wir an den Beitrag, den der deutsche antifaschistische Widerstand in Deutschland, in der Emigration, als Teil von Partisanenverbänden und in den Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition geleistet hat.

Mehr als 55 Millionen Menschen fielen Nazi-Terror, Holocaust und Vernichtungskrieg zum Opfer. Sie bezahlten den deutschen Griff nach der Weltherrschaft mit unvorstellbarem Leid und ihrem Leben. Noch in den letzten zwei Wochen vor der Befreiung Hamburgs, wurden 71 Männer und Frauen aus dem Konzentrationslager Fuhlsbüttel im KZ Neuengamme grausam ermordet. In der Schule Bullenhuser Damm, damals ein Außenlager des KZ Neuengamme, erhängte am 20. April 1945 die SS 20 jüdische Kinder mit ihren vier Pflegern und 24 sowjetische Häftlinge. Weit über zehntausend Häftlinge des KZ Neuengamme verloren noch ihr Leben in sogenannten “Auffanglagern”, beim Untergang der „Cap Arcona“ in der Ostsee oder durch Tötungen während der Todesmärsche, auf die sie gezwungen wurden. Die deutsche Wirtschaft, allen voran Chemie- und Rüstungsindustrie und Banken waren die Gewinner von „Arisierung“, Krieg und der Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeiter_innen. Diese Gewinne bildeten eine wichtige Grundlage des „Wirtschaftswunders“ in der Bundesrepublik, während die Opfer um jede Mark Entschädigung kämpfen mussten und bis heute kämpfen müssen.

In nahezu allen ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern wurden der 8. und/oder 9. Mai gesetzliche Feiertage, das war auch in der DDR der Fall. Genau 40 Jahre hat es gedauert, bis ein Präsident der Bundesrepublik an einem 8. Mai von Befreiung gesprochen hat. Bis dahin hatte die Sicht der Nazis, der Deutsch-Nationalen, der „Frontkämpfer“, der Profiteure, Mitläufer und Zuschauer das offizielle Vokabular geprägt: Zusammenbruch, Kapitulation, Niederlage, Besatzer, Neubeginn. Mit Weizsäckers Rede wurde die Perspektive der Verfolgten des Nazi-Regimes „gesellschaftsfähig“.
Wir fordern, dass der 8. Mai als Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg endlich auch in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag wird.

Wir wissen, dass die Früchte des 8. Mai stets gefährdet sind. Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus und Antiziganismus, Islamfeindlichkeit – alle möglichen Ideologien zur Begründung sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Ausgrenzung haben Konjunktur. Wir wissen, die soziale Spaltung der Gesellschaft hat ein Ausmaß erreicht, in dem die Angst vor dem Abstieg Anpassungsdruck und Ausgrenzungsbereitschaft erhöht. Wir erleben, dass Grundrechte immer weiter eingeschränkt werden. Wir sehen mit Sorge, wie unbarmherzig unsere Gesellschaft Flüchtlingen gegenübertritt und gewaltsame Übergriffe duldet. Zugleich wird antifaschistische Gegenwehr kriminalisiert. Der rasante Aufstieg neofaschistischer und rechtspopulistischer Kräfte in nahezu allen europäischen Ländern verlangt entschiedenen Widerstand.

Der Wiedereintritt Deutschlands in die Reihe der Krieg führenden Länder stellt einen Bruch mit dem Nachkriegskonsens „Es soll nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen“ als wichtigste Lehre aus der jüngeren deutschen Geschichte dar. In vielen Ländern der Welt, im Irak, in Syrien, in der Ukraine und in weiten Teilen Afrikas toben Kriege. Wieder sind deutsche Waffen – und oft auch deutsches Militär – beteiligt. Die Bereitschaft, „deutsche Interessen“ erneut mit militärischen Mitteln durchzusetzen ist in Regierung und Bundestag gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung wieder politische Praxis geworden. Gerade darum wollen wir den Tag zum Feiertag machen, den die Überlebenden als „Morgenröte der Menschheit“ erlebt haben, wie es der als Jude und Kommunist verfolgte Résistance-Kämpfer Peter Gingold ausgedrückt hat. Wir wollen am 8. Mai vor allem an die Hoffnung der Befreiten auf eine Welt ohne Kriege, Elend und Unterdrückung erinnern und diese als Impuls nehmen, weiter an der Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit zu arbeiten, so wie es die befreiten Häftlinge von Buchenwald geschworen haben.
In diesem Sinne rufen wir auf:
Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!

Hamburger Erklärung zum 8. Mai 2015 – Erstunterzeichner_innen:
VVN-BdA Hamburg, Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V., Ver.di AntiRA, Deutscher Freidenker-Verband Landesverband Nord e.V., DKP Hamburg, Bündnis für ein Hamburger Deserteursdenkmal, Hamburger Bündnis gegen Rechts, Lese-Zeichen Hamburg, Initiative MIR, Barmbeker Initiative gegen Rechts, Bürgerinitiative Glinde gegen Rechts, AG Gedenken Bergedorf, Antifaschistisches Bündnis Bergedorf, Motorradclub Kuhle Wampe, AK Denk-Mal, Mechadasch Hamburg, DIE LINKE Landesverband Hamburg, Landesverein der Sinti in Hamburg e. V.