Redebeitrag der VVN-BdA Pankow zur Lichterkette und Kundgebung gegen Antisemitismus und Rassismus am 26. Januar 2014

28. Januar 2014

Trotz eisig kalten Wetters nahmen am Abend des 26. Januar etwa 100 Menschen an der diesjährigen Kundgebung gegen Rassismus und Antisemitismus vor dem ehemaligen Jüdischen Waisenhaus teil. Wir dokumentieren an dieser Stelle die Rede der VVN-BdA Pankow.

Liebe Anwesende,

Zu Recht liegt ein Schwerpunkt der heutigen Veranstaltungen auf dem Thema Flucht und Einwanderung. Wie geht die deutsche Gesellschaft mit den Menschen um, die vor Krieg, Verfolgung und Not zu uns flüchten? Hat sich dieses Land wirklich gebessert seit 1992, als in Mölln, Solingen und Rostock die Brandsätze gegen Menschen aus der Türkei, Vietnam und vom Balkan flogen? Wie ist es um diesen Staat bestellt,

In dem ein Bundesinnenminister Menschen aus Serbien und Mazedonien pauschal verdächtigte, das deutsche Asyl zu missbrauchen, wie es 2012 geschah?

In dem eine Pkw-Maut nur „für Ausländer“ der beste Wahlkampfschlager des Vorsitzenden einer Regierungspartei sein kann?

In dem landauf, landab, jenseits aller Fakten, von der „Einwanderung in deutsche Sozialsysteme“ schwadroniert wird?

Der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft – er ist so lebendig wie eh und je. Das zeigt auch die vorurteilsbeladene Medienberichterstattung über die aktiven Flüchtlinge in Berlin, zum Beispiel über das Camp auf dem Kreuzberger Oranienplatz, bei der sich Blätter wie die Morgenpost oder die BZ so unrühmlich hervortun.

Doch nicht nur der Rassismus lebt fort – auch der Antisemitismus, der Hass auf Jüdinnen und Juden, besteht weiter und verstärkt sich sogar.

Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte hat im September und Oktober 2012 etwa 5.900 jüdische Menschen unter anderem aus Deutschland, Frankreich und Belgien befragt. Lassen Sie mich einige erschreckende Ergebnisse dieser Befragung herausgreifen: Drei Viertel der Befragten gaben an, dass der Antisemitismus in den letzten Jahren in ihrem Land zugenommen habe. Ebenso viele zeigten sich besorgt über zunehmende antisemitische Aussagen im Internet. In den zwölf Monaten vor der Erhebung wurden nicht weniger als 26 Prozent der Befragten zum Opfer antisemitischer Beleidigungen, Belästigungen, Drohungen und Gewalttaten. Angst prägt den Alltag vieler jüdischer Menschen in Europa. Ein Drittel der Befragten befürchtet körperliche Angriffe; mehr als ein Viertel meidet bestimmte Orte oder Gegenden, weil sie sich dort nicht sicher fühlen.

Die Ergebnisse dieser Befragung überraschen nicht. Auch in Berlin gilt: Sobald jüdische Menschen und Einrichtungen sichtbar und erkennbar werden, wächst die Gefahr von Schmähungen und Übergriffen. Die meisten jüdischen Menschen Berlins trauen sich nicht, ihre Identität offen zu zeigen. Einrichtungen wie die jüdische Gemeinde oder das jüdische Museum können davon erzählen, wie ihnen in unzähligen E-mails, Briefen und persönlichen Begegnungen antisemitische Vorurteile entgegenschlagen. Dieser aktuelle Antisemitismus geht bei weitem nicht nur von Neonazis aus. Er grassiert im Internet und auf den Schulhöfen, im bürgerlich-akademischen Milieu, bei Menschen ohne und mit Migrationshintergrund; ja sogar einige Leute, die sich selbst als links verstehen, sind von ihm nicht frei .

Der Antisemitismus von heute vermischt die althergebrachten Klischees der Judenfeindschaft mit der Leugnung und Verdrängung des Holocaustes, mit Verschwörungstheorien und mit verzerrten Bildern des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinenser/innen. Wie aktuell dieser Antisemitismus ist, zeigte sich gerade an dieser Stelle hier vor wenigen Tagen, als Unbekannte, wahrscheinlich Pankower Neonazis, einen Anschlag auf die Gedenktafeln mit den Namen der jüdischen Opfer verübten.

Nun, die Tafeln hängen hier immer noch und werden immer wieder zu sehen sein, das garantiere ich Ihnen! Wir werden den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus weiter führen, hier vor Ort, in Solidarität mit den Geflüchteten in der Mühlenstraße und mit den jüdischen Menschen Berlins ebenso wie im Gedenken an die Opfer der Nazis. Lassen Sie uns in diesem Sinne auch 2014 gemeinsam wirken.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!