Gedenken am Wasserturm
18. März 2013
Rund 30 Menschen erinnerten am 16. März 2013 am Wasserturm im Kollwitzkiez des Ortsteils Prenzlauer Berg daran, dass sich hier eines der hunderten frühen Konzentrationslager befand, die in Berlin zu Beginn der NS-Herrschaft existierten. Die Gedenkkundgebung zwar zugleich Auftakt der Veranstaltungsreihe „Auf den Spuren der Geschichte. 1933. Naziterror und Widerstand“, die die BO Prenzlauer Berg der Berliner VVN-BdA und die VVN-BdA Berlin-Pankow e.V. bis Juni 2013 durchführen (siehe unten).
Neben Redebeiträgen von VertreterInnen unserer Organisation, richtete Stefan Liebich (Pankower Bundestagsabgeordneter, Die Linke) und Sabine Röhrbein (Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung Pankow, SPD) Grußworte an die TeilnehmerInnen. Diese dokumentieren wir weiter unten. Zudem wurden ZeugInnenaussagen damaliger Häftlinge und AnwohnerInnen verlesen. Zum Ende der Veranstaltung legten viele Anwesende Blumen an der Gedenkstele am Wasserturm ab.
Grußbotschaft aus der Pankower Bezirksverordnetenversammlung
Von der Vorsteherin Sabine Röhrbein an die TeilnehmerInnen der Gedenkkundgebung am 16. März 2013
Sehr geehrter Vorstand der VVN-BdA Berlin-Pankow e.V.,
vielen Dank für Ihre Einladung zur Gedenkveranstaltung am Wasserturm, mit der Sie an das Konzentrationslager der Nationalsozialisten im zum Areal gehörenden Maschinenhaus erinnern. Leider kann ich daran nicht teilnehmen, da ich am 16. und 17. März in der Pankower Partnerstadt Kołobrzeg weile anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Kämpfe um Kołobrzeg und der Vermählung Polens mit dem Meer.
Ich möchte Ihnen auf diesem Weg für Ihr Engagement mit der Veranstaltungsreihe „Auf den Spuren der Geschichte. Naziterror und Widerstand im Prenzlauer Berg“ recht herzlich danken. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag, dass die zahllosen Opfer des Nazi-Terrors nicht in Vergessenheit geraten. Vor allem aber zeigen sie, dass Verfolgung, Zwangsarbeit und Gewalttaten mitten in unserer Stadt, mitten in unserem Bezirk geschehen sind. Ihr Verdienst ist es, auf die Orte aufmerksam zu machen, an denen Menschen gequält und ermordet worden sind, und so die Erinnerung an Ihr Leiden wach zu halten. An die Verbrechen im „wilden KZ“ am Wasserturm erinnert seit vielen Jahren eine Tafel auf der Gedenkmauer, 2005 wurde vor dieser Mauer eine kommentierende Glastafel enthüllt. Leider ist dieser Gedenkort immer wieder Angriffen ausgesetzt. Ich kann Ihnen versichern, dass die Bezirksverordnetenversammlung Pankow das nicht hinnehmen wird, so wie wir uns auch in der Vergangenheit immer wieder gegen unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft, Religion, Nationalität oder der sexuellen Identität oder einer Behinderung sowie gegen jedwede fremdenfeindliche und rechtsradikale Handlungen in unserem Bezirk ausgesprochen und engagiert haben.
Für Ihre Veranstaltungsreihe wünsche ich Ihnen interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, couragierten Zuspruch und gutes Gelingen. Soweit es mir möglich ist, nehme ich gern an einer der Veranstaltungen teil.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Sabine Röhrbein
Grußwort von Stefan Liebich
Direkt gewählter Bundestagsabgeordneter in Pankow an die TeilnehmerInnen der Gedenkkundgebung am 16. März 2013
Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Veranstalterinnen und Veranstalter der VVN-BdA Bezirksorganisationen Prenzlauer Berg und Pankow, liebe Gäste,
bereits Anfang des Jahres war ich Gastredner einer Veranstaltung des VVN-BdA Pankow. Das Thema war an diesem Abend die Außenpolitik.
Als direkt gewähltes Mitglied des Bundestages für Pankow beschäftigen und interessieren mich aber natürlich auch die Belange, Nöte, und Aktivitäten der Nachbarschaft vor Ort, wie von Vereinen, Institutionen, Interessengemeinschaften.
Darum freute es mich, an jenem Abend, von der Planung und Vorbereitung dieser Kundgebung zu hören.
Die Aufarbeitung von Geschichte muss nicht zwangsläufig trocken sein und sie muss nicht auf Friedhöfen enden. Geschichte fängt immer früher an und an vielen anderen Orten. Dort wo die Menschen lebten, bevor die Verbrechen des Faschismus das Leben ganzer Familien vernichtete. Eben auch hier in Prenzlauer Berg.
Es ist gut zu wissen, wer hier – wo wir uns so wohl fühlen – einst wohnte. Daran denke ich oft. Zum Beispiel wenn ich die Stolpersteine von Helene und Erika Becker aus der Stargarder Straße 6 putze, deren Patenschaft ich übernommen habe.
Damals wie heute ist Prenzlauer Berg ein wichtiges multi-kulturelles Zentrum dieser Stadt. Und er ist ein politischer Ort mit vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern.
Seine politischen Facetten werden in Ihrer Veranstaltungsreihe hervorragend beleuchtet.
Genannt seien hier Themen wie: Kriegsproduktion und Zwangs-arbeit 1944/45 in der ehemaligen Königstadtbrauerei, Terror in Berlin 1933 – Das frühe KZ am Wasserturm, Nationalsozialisten im Prenzlauer Berg 1925-33 und Jüdisches Leben und Überleben im Prenzlauer Berg im 19. & 20. Jahrhundert.
Leider können wir nicht ausschließlich von Vergangenheit sprechen. Unbelehrbare wollen wieder braune Fahnen sehen. Sie zeigen ihren Hass nicht nur durch die Schändung jüdischer Friedhöfe, von Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus und die Zerstörung von Gedenkplatten und Stolpersteinen.
Nein, wie auch das Pankower Register belegt, geht es nicht mehr „nur“ um die Verfolgung politisch oder religiös Anders-denkender. Ihr Handeln richtet sich auch schon wieder gegen Menschen anderer ethnischer Zugehörigkeiten. Das darf nicht sein!
Ihre Kundgebung und Ihre Veranstaltungsreihe sind ein wich-tiger Beitrag, über diese Entwicklung zu informieren und sich dagegen zur Wehr zu setzen. Nicht nur, aber auch in diesem Zusammenhang kann ich berichten, dass nunmehr auch mein Wahlkreisbüro eine Anlaufstelle für das Pankower Register ist.
Ich wünsche Ihrem Projekt viel Erfolg und recht viele interes-sierte Gäste.
Mit herzlichen Grüßen Ihr
Stefan Liebich
Redebeitrag der Pankower VVN-BdA
Sehr geehrte Teilnehmende dieser Kundgebung, liebe Freundinnen und Freunde,
wir haben nun viel gehört über die Geschichte des Ortes, an dem wir hier stehen.
An die Verbrechen der Nazifaschisten zu erinnern und den Widerstand zu ehren, den mutige Berlinerinnen und Berliner vor 80 Jahren geleistet haben, bedeutet für uns keine rein geschichtliche Angelegenheit. Gedenkorte wie der Wasserturm hier sind für uns Antifaschistinnen und Antifaschisten keine Freilichtmuseen, sondern tragen eine höchst aktuelle Botschaft ins Hier und Heute. Warum ist das so?
Lassen Sie mich dazu bitte einige Vorfälle aus Prenzlauer Berg erwähnen, die sich im vorigen Jahr, 2012, ereignet haben:
9. Januar 2012
In der Nacht zum 9. Januar 2012 haben am U-Bahnhof Eberswalder Straße drei Rassisten einen 23jährigen Migranten erst beleidigt und dann mit Tritten und Schlägen so schwer verletzt, dass er in Lebensgefahr schwebte. Sie brachen ihm die Nase und einen Rückenwirbel.
15. Februar 2012
An einem Mahnmal für Widerstandskämpfer_innen gegen das NS-Regime an der Kreuzung Danziger Ecke Diesterwegstraße werden Hakenkreuze und Runen entdeckt.
13. Juni 2012
Nach dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft begeben sich etwa 200 Fans auf die Kreuzung am U-Bhf. Eberswalder Straße. Dabei werden rassistische Parolen gegen migrantische Nationalspieler skandiert.
Diese Vorfälle sind auf der Internetseite der „Emanzipativen Antifaschistischen Gruppe“ (EAG) dokumentiert. Auf dieser Seite können Sie eine chronologische Auflistung von Vorfällen mit rechtem und neonazistischem Hintergrund finden, die sich aus unterschiedlichen Quellen speist, so aus Polizeiberichten und aus Angaben von Betroffenen. Diese und andere Informationsgrundlagen beweisen, dass auch im Ortsteil Prenzlauer Berg mit seinem sorgfältig gepflegten alternativen Image rassistische, rechte, homosexuellenfeindliche und antisemitische Propagandaaktivitäten, Bedrohungen und Übergriffe stattfinden.
Zwar ist, anders als in den 1990er Jahren, in Prenzlauer Berg keine organisierte neonazistische Szene und Infrastruktur offen erkennbar, obwohl auch in Prenzlauer Berg Neonazis wohnhaft sind und über Trefforte verfügen. Auch wird ein Großteil des Prenzlauer Bergs allgemein nicht als Angstraum wahrgenommen, in dem sich potenzielle Opfer rechter Übergriffe nur unter größter Vorsicht oder gar nicht bewegen können.
Und dennoch:
Auch im Prenzlauer Berg kann die Stimmung kippen, können sich alltägliche Orte für bestimmte Zeiträume in Zonen der Angst verwandeln. Häufig geschieht dies am Wochenende, an Verkehrsknotenpunkten, in den Öffentlichen Verkehrsmitteln und im Umfeld von Sportveranstaltungen.
Die ausgebaute Infrastruktur mancher Teile des Prenzlauer Bergs als Ort zum Feiern und zur Freizeitgestaltung wird eben unter Umständen auch von Rassist_innen und Neonazis genutzt. Übergriffe und Vorfälle wie die oben genannten verdeutlichen, dass rechte Gewalt und Hass gegen bestimmte Gruppen wie Migrant_innen oder Homosexuelle keine Domäne einer kleinen Minderheit von ewiggestrigen Neonazis sind, sondern weit in der Bevölkerung verbreitete Tendenzen.
Dagegen einzutreten sollte für uns alle Verpflichtung sein, gerade weil wir die Schrecken der nazifaschistischen Vergangenheit vor Augen haben. Sich gegen Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und Homophobie zu engagieren, kann bedeuten:
- bei Vorfällen mit rechtem Hintergrund Zivilcourage zu zeigen, Hilfe zu holen und selbst einzuschreiten,
- Wahrnehmungen von rechten Aktivitäten öffentlich zu machen und antifaschistische Gruppen darüber zu informieren,
- für eine lebendige antifaschistische, alternative Kultur zu wirken und sich gegen die Vertreibung von Freiräumen und Kulturprojekten durch Profitinteressen zu wehren,
- die Erinnerung an die Geschichte von nazistischem Terror und antifaschistischem Widerstand auf lokaler Ebene wachzuhalten.
Lassen Sie uns in diesem Sinne nicht nur heute, sondern auch in Zukunft zusammenarbeiten! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vorstand der VVN-BdA Berlin-Pankow e.V.
Redebeitrag der BO Prenzlauer Berg der Berliner VVN-BdA
Verlesen von Volkmar Harnisch, Vorsitzender
Liebe Teilnehmer an unserer heutigen Kundgebung zu den Vorgängen auf dem Wasserturmgelände vor 80 Jahren, liebe Anwohner aus dem Kiez rund um den Wasserturm in Prenzlauer Berg, liebe Mitglieder der Berliner VVN-BdA, liebe junge Antifaschisten.
Wir sind hier zu einem Gedenken am Wasserturm. Es ist ein Gedenken – und ein Nachdenken 80 Jahre danach.
Das Gedenken gilt jenen Vorgängen, die sich zu Beginn des Jahres 1933 und schon eine Zeit davor in Deutschland, in Berlin und nicht zuletzt hier im Kiez um das Gelände um den Wasserturm ereignet hat. Dazu ist ein Blick zurück zum Verständnis des Zusammenhangs hilfreich.
Die wirtschaftliche und politische Entwicklung verlief in Deutschland nach dem 1918 verlorenen Krieg und den Auswirkungen des Friedensvertrages von Versailles bekanntlich nicht geradlinig. Sie war von Instabilität gekennzeichnet. Die unvollendete Revolution von 1918, die zwar zur Abschaffung der Monarchie, nicht jedoch auch zum Sturz des kaiserlichen Regierungs- und Verwaltungsapparates geführt hatte, ließ Raum auch für das Erstarken des Revanchismus und des extrem nationalen Chauvinismus, wie es im Programm der sogenannten Nationalsozialisten, also der Nazis, für alle Welt erkennbar festgeschrieben worden war.
Diese Partei, die sich unter dem Namen „Deutsche Arbeiterpartei“ gründete, verkündete 1920 ein Programm und gab sich den Namen „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ – abgekürzt NSDAP. Sie war, wie die Entwicklung gezeigt hat, weder national noch sozialistisch, sondern vertrat mit ihrer Abenteuerlichkeit, ihrem Terror gegen die Arbeiterklasse und alle anderen demokratischen Kräfte, mit ihrem hemmungslosen Chauvinismus, einer raffinierten sozialen und nationalen Demagogie nicht die Interessen der arbeitenden Menschen, sondern in Wahrheit die Interessen deutscher Industrie- und Bankmonopole sowie der Großagrarier, die sich ihrerseits mit Großspenden in Millionenhöhe an die Nazipartei erkenntlich zeigten. Mit dieser Unterstützung sowie mit ihrem Antikommunismus und Antisemitismus und einer beispiellosen Demagogie erlangten die Nazis Masseneinfluss. Sie wurden mit Unterstützung der Reichswehrführung am 30. Januar 1933 an die Regierungsmacht geschoben. Die Nazipartei wurde alleinige Staatspartei und errichtete mit dem Machtapparat der Monopole und des Staates ein totalitäres Herrschaftssystem. Dieses fand sein Ende erst am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht vor den alliierten Streitkräften der Antihitlerkoalition. Als Ergebnis der faschistischen Gewalt- und Terrorherrschaft sind viele Millionen an Toten, unermessliches Leid, kolossale materielle Zerstörungen sowie über Generationen hinweg spürbare gesellschaftliche und persönliche Nachwirkungen der damaligen Geschehnisse zu konstatieren.
Wenden wir uns nun der Wasserturm-Problematik zu. Hier wurden zu Beginn des Jahres 1933, also in den ersten Wochen und Monaten, neben zahlreichen anderen Haft- und Folterstätten der sogenannten Sturmabteilungen, also der faschistischen Schlägertruppe SA, im Stadtbezirk Prenzlauer Berg ein erstes frühes Konzentrationslager eingerichtet. Es war einer jener 150 Orte in Berlin, wo verhört, gefoltert und auch erschlagen wurde. Diese frühen Konzentrationslager waren fester Bestandteil des 1933 einsetzenden politischen Terrors. Ihre hauptsächliche Aufgabe bestand in der sofortigen Ausschaltung der politischen Opposition durch Beschränkung der Freiheit, durch sofortige Ausschaltung der persönlichen Autonomie durch Qual, Erniedrigung und Folter. Neben diesen direkten Zwecken der Inhaftierung wirkten diese Folterstätten zur Schürung von Angst, durch die Drohung mit dem KZ. Mit der Konzentrierung der politischen Gegner in Lagern wurden zugleich die bisher bestehenden Verbindungen unterbrochen und Neubildungen verhindert. Die Angst wirkte auch auf die Bevölkerung, die damit fügsam gemacht wurde und der politischen Opposition die Unterstützung versagte.
Das frühe KZ Wasserturm war ein KZ der SA. Die SA hatte 300 000 Mitglieder im Januar 1933 und erwartete ein Signal zum Losschlagen gegen die – wie es hieß – „marxistische Pest“, also gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden. Angestaute Rachegelüste wurden als staatspolitische Aufgabe deklariert. Schon im Februar 1933 erklärte der damalige Innenminister in Preußen, Hermann Göring, der am 1. Oktober 1946 zu Recht als Kriegsverbrecher zum Tod durch den Strang verurteilt wurde: „…Dem Treiben staatsfeindlicher Organisationen ist mit den schärfsten Mitteln entgegen zu treten und – wenn nötig – rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen. Polizeibeamte… werden von mir gedeckt.“
Nach dem Reichstagsbrand am 27.2. und nach den Reichstagswahlen vom 5.3.1933 war für die Aggressionen freier Lauf: Die SA besetzte Partei- und Verbandsbüros, Rathäuser, Zeitungsverlage, nahm politische Gegner fest, misshandelte und mordete. Nach Schätzungen wurden zu dieser Zeit 100 000 Menschen festgenommen und 500 bis 600 ermordet.
Im Stadtbezirk Prenzlauer Berg wurden die Straßen von der SA beherrscht, die bei Tag und Nacht Razzien und Wohnungseinbrüche sowie willkürliche Verhaftungen vornahm. Der damalige Bürgermeister Ostrowski, SPD, wurde z.B. am 10.3.1933 von der SA verschleppt.
Prenzlauer Berg galt damals als typischer Arbeiterbezirk. Von den 313 000 Einwohnern waren 53% Arbeiter oder Hausangestellte, 23% Beamte oder Angestellte, 10% Selbständige; 34,4% waren arbeitslos.
Der Bezirk war neben Neukölln und Wedding eine der großen Hochburgen der Berliner Arbeiterbewegung. Bei den Reichstagswahlen von 1932 waren die KPD mit 36,9% und die SPD mit 26,7% die stärksten Parteien, während die Nazipartei mit 22,1% ein wesentlich schwächeres Ergebnis erzielte. Zudem waren KPD, SPD und SAP (Sozialistische Arbeiterpartei) durch mitgliederstarke Organisationen (Roter Frontkämpferbund, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Sozialistische Arbeiterjugend) vertreten.
Es gab in dieser Zeit zahlreiche gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen diesen Arbeiterparteien und der Nazipartei, so am 22. Januar 1931 im Saalbau Friedrichshain, wo Joseph Goebbels und Walter Ulbricht als Diskussionsredner auftraten und es zu einer blutigen Saalschlacht mit über 60 Verletzten und Schwerverletzten kam.
Im Bezirk formierte sich im Zusammenhang mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler der Widerstand schnell. Es kam noch am 30. Januar zu einer großen Protestdemonstration auf dem Helmholzplatz sowie an der heutigen Kollwitz- Ecke Danziger Straße am 7. Februar 1933.
Es ist davon auszugehen, dass durch die vorhergegangenen scharfen politischen Auseinandersetzungen, die Zusammenstöße und Straßenschlachten zwischen der SA und der politischen Opposition der SA Namen, Gesichter und Wohnadressen ihrer Gegner bekannt waren. So war es leichter möglich, eine Anzahl bekannter Kommunisten und Sozialdemokraten zu verhaften und in das frühe KZ Wasserturm zu verschleppen. Einige seien genannt:
Karl Ziegler, geboren 1915, wohnhaft unweit vom Wasserturm, war als Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes kein Unbekannter. Er wurde im März 1933 von SA-Leuten verhaftet, verhört und nach kurzer Zeit entlassen. 1934 fand er Anschluss an die Widerstandsgruppe von Gerhard Sredzki, nach dem eine Straße unweit von hier benannt ist.
Werner Rosenberg, 1911 geboren, war 1933 KPD-Funktionär. Er wurde am 27.4.1933 beim Weiterreichen eines politischen Flugblattes auf der Kastanienallee festgenommen, zum Wasserturm gebracht, verhört und verprügelt. Nach eigenen Angaben war er 8 Tage im frühen KZ Wasserturm. Nach der Entlassung setzte er seinen Widerstand fort, wurde 1936 erneut verhaftet, kam 1939 ins KZ Sachsenhausen, im Oktober 1942 nach Auschwitz und im Dezember 1944 erneut nach Sachsenhausen.
Ernst Förstner, geboren 1903, seit 1927 Hauptkassierer der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) im Bezirk, wurde im Mai 1933 bei einer Straßenkontrolle von der SA festgenommen und in das frühe KZ Wasserturm verschleppt Bei den Misshandlungen wurden ihm insgesamt 7 Zähne ausgeschlagen. Er wurde nach 126 Tagen entlassen.
Paul Krug, geb. 1887, KPD und IAH wurde im Wasserturm grausam misshandelt. Er emigrierte 1936 nach Prag, wurde nach dem Einmarsch der Deutschen in die CSR 1939 dort verhaftet, nach Dresden verbracht, wo er am 9.5.1939 an den Folgen der Folterungen im Landgerichtsgefängnis verstarb.
Es sind weitere, im ganzen 19 Namen von Häftlingen im frühen KZ Wasserturm bekannt: Kurt Schulze, Hans-Georg von Berfelde, Herbert Hirte, Erhard Schäfer, Herbert Liepold, Erich Ney, Kurt Scheer, Werner Kosinsky, Hans Gluba.
Eine Schätzung der Anzahl der Häftlinge, die durch das frühe KZ Wasserturm gingen, ist schwierig, weil überhaupt keine originären Unterlagen gefunden worden sind.
War die Ausschaltung und Zerschlagung der politischen Linken zu Beginn des Jahres 1933 das vorrangige Ziel der Nazis, so steckte dahinter nach Auffassung der Hitlerleute das „jüdische Element“ als „Drahtzieher“. Der von ihnen propagierte Antisemitismus fand seinen Ausdruck unter anderem in judenfeindlichen Maßnahmen, in Razzien und Festnahmen, z.B. im Scheunenviertel. Als jüdische Häftlinge im Wasserturm sind Bernhard Behrens, Inhaber eines Zigarrengeschäftes in der Kastanienallee 75 sowie ein Mann namens Garbaty ermittelt worden.
Das eigentliche frühe Konzentrationslager befand sich entgegen der gebräuchlichen Bezeichnung nicht im Wasserturm als Gebäude, sondern in der nebenan gestandenen ehemaligen Maschinenhalle, aus der schon 1914 die Maschinenanlagen und die Dampfkessel für den Betrieb des Wasserwerkes ausgebaut worden waren. Dieses jetzt nicht mehr existierende große Gebäude wurde von der SA als frühes Konzentrationslager ausgewählt und für die Unterbringung der Häftlinge, für Verhöre und Folterungen genutzt.
Das frühe KZ Wasserturm bestand in der Zeit von etwa Februar bis etwa Mitte Juni 1933. Exakte Daten dazu sind nicht mehr nach zu vollziehen. Die Hauptverantwortlichen für die Verhaftungen und Folterungen waren die SA-Führer Pfordte, Protsch und Kain, gegen die im August 1934 ein gerichtliches Verfahren wegen Diebstahls und Betrug eingeleitet werden musste. Ihre Untaten gegenüber den Häftlingen standen nicht zur Aufklärung und Verfolgung. Ziel dieses Verfahrens wegen rein krimineller Handlungen war es wohl, solche Mitglieder aus der SA zu entfernen, die innerhalb der Parteiformation für Unruhe und mangelnde Disziplin sorgten. Die Schließung des frühen SA-Konzentrationslagers Wasserturm kann als Teil der Säuberung und Reorganisation der gesamten SA nach dem sogenannten Röhm-Putsch vom 30. Juni 1934 gewertet werden.
Die hier auf dem Gelände des Wasserturms schon vor 1958 geschaffene, später restaurierte Gedenkstätte dient seitdem der Erinnerung und Mahnung. Über Jahre wurden hier zum Tag der Opfer des Faschismus im September Veranstaltungen durchgeführt, die wie die heutige nicht nur erinnern, sondern zugleich den Gedanken wachhalten sollten und sollen, niemals wieder Faschismus zuzulassen. Wir Verfolgten des Naziregimes, in deren Namen ich hier spreche und die wir die Zeit des Faschismus am eigenen Leibe erlebt haben, sehen mit großer Sorge, dass die Festlegungen der Alliierten 1946 in Potsdam von der Bundesrepublik nur halbherzig durchgeführt werden, wo es im Potsdamer Abkommen doch heißt: „…alle nazistischen Einrichtungen sind aufzulösen. Es sind Sicherheiten zu schaffen, dass sie in keiner Form wiedererstehen können. Jeder nazistischen…Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen…“
Es ist höchste Zeit, mit allen rechtlichen und staatlichen Mitteln gegen die inzwischen entstandenen neuen faschistischen Gruppierungen vorzugehen und vor allem die offen demokratiefeindliche NPD zu verbieten, wie es unsere Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten in ihren zurückliegenden Kampagnen immer wieder gefordert hat. Es muss Schluss sein mit der jahrelangen Verharmlosung der realen Gefahren, die vom neuen faschistischen Potential ausgehen, es muss Schluss sein mit der Endlos-Diskussion über die vermutlich ungewissen Erfolgsaussichten eines solchen Verfahrens. Aus den Erfahrungen der Geschichte und in Erinnerung an die millionenfachen Opfer haben wir die Erwartung an die deutschen Verfassungsorgane: den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung, endlich ein Verfahren zum Verbot der NPD rechtswirksam einzuleiten. Damit würde zugleich der Verdacht entkräftet, vielleicht in Wahrheit ein Verbot gar nicht herbeiführen zu wollen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Erinnerungen an das frühe KZ Wasserturm
Verlesen bei der Gedenkkundgebung am 16. März 2013
Erna Vorwerk wohnte damals in der Kolmarer Str. 2 – schräg gegenüber dem Pförtnerhaus. Sie erzählte: „Besonders nachts war das Ein- und Ausfahren von Kraftwagen sehr rege. Man hörte das ja sehr deutlich, das Anhalten der Fahrzeuge, das Öffnen und Schließen des Tores und das Motorengeräusch. Wenn nachts ein LKW hereinfuhr und nach einiger Zeit wieder herausfuhr, flüsterten sich die Einwohner am nächsten Morgen bange zu: ‚Heut Nacht haben sie wieder Leichen abgeholt und weggeschafft. ‘ Keiner von ihnen wusste, ob das wirklich stimmt, alle aber haben es angenommen.“ Auch manchmal hörten sie Schüsse.
Frieda Gottlieb, die in der Kolmarer Str. 6 in der 4. Etage wohnte, genau gegenüber der Maschinenhalle, erklärte:
„Ich habe mich nicht getraut, aus dem offenen Fenster hinauszuschauen, weil die SA, wenn sie das feststellte, sofort von unten drohte. Geschlagen hat die SA die Häftlinge im Allgemeinen nachts. Man hörte die schrecklichen Schreie der Gefolterten. Einmal aber war es ganz schlimm. Da hörte man die Schmerzensschreie der Geschlagenen einen ganzen Tag lang und auch noch die ganze folgende Nacht. SA-Männer, die damals aus der Halle nach draußen traten, standen stark unter Alkoholeinfluss. Sie konnten sich nur torkelnd fortbewegen. Die müssen ja vollkommen besoffen gewesen sein, sonst kann man so etwas Schreckliches doch nicht tun!“
Bereits belanglose Bemerkungen von Bürger/innen, die von der SA als Kritik am Hitlerfaschismus aufgefasst wurden, konnten zu Anpöbelungen durch die SA oder zur Verhaftung führen. Die SA verschleppte die Verhafteten in der Regel zum nächsten Sturmlokal, wo sie von der Horde der dort anwesenden, häufig unter Alkoholeinfluss stehenden SA-Leute misshandelt wurden. Wenn sich die Harmlosigkeit des Verhafteten herausgestellt hatte, entließ die SA sie mit Fußtritten und unter demütigenden Bedingungen, wie Erheben der Hand zum faschistischen Gruß, wieder in die Freiheit. Schlimmer für die Verhafteten war es, wenn sie nach dem berüchtigten „Puhlmannkeller“ geschleppt wurden. Das Gebäude des Puhlmannkinos befand sich in der Schönhauser Allee zwischen der Kastanienalle und Oderberger Straße. Das Gleiche gilt für das frühe KZ Wasserturm. Aber auch hier sind Einzelfälle bekannt, in denen die Verhafteten nach schwerer Misshandlung und nach Ablauf einiger Stunden oder Tage wieder entlassen wurden.
Ernst Förstner war von 1927 bis 1933 Hauptkassierer der Internationalen Arbeiterhilfe im Unterbezirk Nordost. Er berichtete:
„In der Nacht vom 1. zum 2. Mai 1933 wurde nachts gegen 3.30 Uhr geklingelt und schwer an die Tür geschlagen. Nach Öffnen stürmten einige SA-Leute in die Wohnung. Sie erklärten mich als verhaftet und forderten von mir ohne Erfolg die aus der Kassiertätigkeit eingegangenen Gelder. Daraufhin erfolgte eine wilde Durchsuchung der Wohnung, wobei alles durcheinandergewirbelt, Schubfächer herausgerissen und alle Behältnisse durchwühlt wurden. Anschließend nahm mich die SA mit. (…) Ich wurde sofort zum Wasserturm gebracht. Es erfolgte ein Verhör, in dessen Verlauf ich schwer geschlagen wurde. Die SA stellte bei dem Verhör nur die Frage nach dem Verbleib des Kassiergeldes. Nur darum ging es ihnen. Morgens wurde ich über eine Treppe vom Aufenthaltsraum in den darunter liegenden Keller geführt. Dort wurde ich wieder nach dem Verbleib des Geldes verhört und so schwer geschlagen, dass ich zusammenbrach. Dann wurde ich mit Wasser übergossen, so dass ich einigermaßen wieder zu mir kam. Anschließend wurde mir das Kopfhaar in eigenartiger Weise verschnitten. Bei den Verhören ging es immer nur um Geld. Die Verhöre fanden immer im Keller und mit mir als einzigen Häftling statt. Jedesmal wurde ich schwerstens geschlagen. (…) Am 18.5., d.h. nach 16 Tagen, wurde ich entlassen.“ [Förstners Chef, selbst NSDAP-Mitglied, hatte die Entlassung aus betrieblichen Gründen gefordert.]
Werner Rosenberg wurde wegen Verbreitung eines antifaschistischen Flugblattes am 27.4.1933 in der Kastanienallee, wo er sich illegal bei einem ihm bekannten Reichsbannermann, Bernhard Behrens, aufhielt, gemeinsam mit diesem von der SA verhaftet und zum KZ Wasserturm gebracht.
Er berichtete: „Wir kamen in die Halle, in welcher die Karren der Straßenreinigung gestanden hatten – dort lagen Strohsäcke, auf denen wir schliefen. Außerdem gab es kleinere abgeteilte Räume, in denen sich die SA aufhielt. In einem dieser Räume wurden wir noch am gleichen Abend vernommen, d.h. auf dem Bett eines SA-Mannes mit Gummiknüppeln verprügelt. (…) Die Prügelei an diesem Abend aber ging noch an. Dann hatten wir die nächsten Tage verhältnismäßig Ruhe. D. h. wir mußten stumpfsinnige Arbeit machen, wie ich mich entsinne, an leeren Fensterrahmen die eisernen Einfassungen entrosten, außerdem Exerzieren und Erdarbeiten, Umgraben und Ausschachten durchführen. (…)
Am Abend des 3. Mai nach dem Abendbrot holte mich dann die SA und fragte mich wieder, woher ich das Flugblatt habe. Ich wiederholte, was ich schon zweimal gesagt hatte, nämlich, dass ich es von einem mir Unbekannten zugesteckt erhalten hätte. ‚Aha, der große Unbekannte’, sagten sie, und dann jagten sie mich im Kreise um einen Stapel Decken herum. Zehn bis zwölf SA-Männer schlugen auf mich ein mit Peitschen, Gummiknüppeln und Revolvergriffen. Außerdem musste ich über gespannte Stricke springen, wobei sie immer schlugen. Das währte etwa eine dreiviertel Stunde. Bald holten sie mich wieder und auch die anderen, die im gleichen Raum waren. Sie schnitten uns in die Haare ‚Figuren’, und wir mussten uns dann mit lächerlichen oder auch demütigenden Erklärungen, wer wir jetzt seien, bei den SA-Führern vorstellen. (…) Wir mussten unter Schlägen mit Gummiknüppeln auf den Kopf das SA-Lied singen ‚Steige hoch, du roter Adler’. (…)
Wir konnten uns erst mal hinlegen. Kurze Zeit später jagten sie mich wieder auf und sagten, ich solle die Brust freimachen, ich werde erschossen. Ich war ganz gleichgültig und stellte mich hin. Sie sagten aber, ‚für dich Kommunistenschwein ist eine Kugel viel zu schade’. Sie schlugen erneut auf mich ein, bis ich liegenblieb.
In der Nacht wurde ich auf einen LKW mit Kartoffeln gepackt und aus dem Lager gefahren. Ich hörte, wie die SA sagte: ‚Wir packen ihn in einen Sack und werfen ihn in die Spree.’ Tatsächlich ging es zur Rettungsstelle Prenzlauer Allee Ecke Danziger Straße, von wo mich der Arzt ins Krankenhaus Friedrichshain überwies, wo ich etwa eine Woche verblieb und dann entlassen wurde, bevor die SA wiederkam, um mich abzuholen.“
Eine die Bevölkerung außerordentlich terrorisierende Methode war, dass die SA gemeinsam mit der Polizei plötzlich und unerwartet ganze Straßenzüge abriegelte. Bei ihrer Jagd auf Kommunist/innen und andere politische Gegner/innen durchsuchten sie Haus für Haus vom Keller bis zum Boden und dem Dache und durchwühlten Wohnungen nach antifaschistischem Material, wie Flugblätter, Druckereianlagen, Waffen. Diese Aktionen hatten neben der Verhaftung von Hitlergegner/innen das Ziel, die gesamte Bevölkerung unter einem ständigen terroristischen Druck zu halten. Niemand von der Bevölkerung im ganzen Stadtbezirk wusste, ob, wann und wo eine solche Aktion wiederholt wird.
Man stelle sich vor, in welcher seelischen Verfassung und Bedrängnis sich die Angehörigen von Widerstandskämpfer/innen und diese selbst befanden, wenn sie bei der Familie weilten und nun innerhalb dieses abgeriegelten Straßenzuges waren und nach keiner Richtung hin mehr einen Fluchtweg hatten.
Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden sie entdeckt, misshandelt und dann auf Mannschaftswagen der Polizei weggebracht. Sie fuhren einem ungewissen Schicksal entgegen. Ausnahmslos allen standen grausame Folterungen bevor. Für manche war es der Abschied für immer. Sie kehrten niemals mehr zurück in ihre Straße, ihr Haus, ihre Wohnung, zu ihren zurückgebliebenen Angehörigen.
Eine besonders berüchtigte Form des faschistischen Terrors war das überfallartige Eindringen einer Gruppe von SA-Leuten – sogenannte Rollkommandos, welche in Wohnungen, in denen Antifaschist/innen wohnten bzw. in denen die SA vermutete, dass sich dort Antifaschist/innen aufhielten. Derartige Überfälle erfolgten zu allen Tages- und Nachtstunden. Die Vormittagsstunden waren eine Zeit, in der man mit derartigen Überfällen im Allgemeinen nicht rechnete. Häufig wurden die Abendstunden genutzt, weil nach der Tagesarbeit alle Familienangehörigen zu Haus zu sein pflegten. Nächtliche Überfälle erfolgten in der Regel um Mitternacht bzw. in den ersten Morgenstunden, wenn alle im tiefsten Schlaf lagen.
Die Methode und der Ablauf solcher Überfälle pflegten in allen Fällen weitgehend gleich zu sein. An der Wohnungstür wurde geklingelt, mit Fäusten und Fußtritten dagegen getrommelt, und wenn nicht bald geöffnet wurde, öffnete die SA gewalttätig die Wohnungstür. In der Wohnung waren alle zutiefst erschrocken, wenn das Poltern an der Tür ertönte. Alle wußten sofort: SA-Männer stehen vor der Tür, um den Vater, den Ehemann oder den Sohn zu holen. Wenn der Gesuchte anwesend war, wurde er sofort verhaftet und vielfach durch Fausthiebe oder anderweitig mißhandelt und weggeführt.
Es erfolgte eine Haussuchung, die einzelne SA-Leute mit Hast und Eile durchführten, wobei sie alles durcheinandergeworfen und Mobiliar und anderes beschädigten oder unbrauchbar machten. Diese Eile hatte einen sehr unpolitischen Grund. Die Überfallenen waren in der Regel arme Menschen, oft handelte es sich um Haushalte von Arbeitslosen. Wer sich aber bei dieser Haussuchung am schnellsten betätigte, hatte die größte Chance, das Wirtschaftsgeld für die Woche im Küchenbüfett, eine Uhr, Schmuck, der in der Regel für die Besitzer/innen einen hohen Andenkenwert darstellte oder vielleicht auch einen Fotoapparat oder ein kleines Fernglas zu finden und zu beschlagnahmen. Diese Gegenstände verschwanden dann sofort in der eigenen Hosentasche und waren somit für den „Finder“ sichergestellt. Danach wurde mit Gründlichkeit in Ruhe nach belastendem Material gesucht, wie Waffen, Propagandaschriften und vor allem nach Mitglieder-, Beitrags- oder anderen Namenslisten.
Wenn die SA-Banditen abgezogen waren und in der Wohnung wieder Ruhe herrschte, blieben die Angehörigen des/der Verhafteten mittellos und ausgeplündert, verstört und in tiefer Sorge um das Schicksal desjenigen/derjenigen zurück.
Diese dargestellten Formen des faschistischen Terrors sind nicht vollständig, sie waren aber typische Erscheinungen im Jahre 1933 im Stadtbezirk Prenzlauer Berg.
Neben dem frühen KZ Wasserturm war das in der Schönhauser Allee zwischen Kastanienallee und Oderberger Straße gelegene SA-Lokal neben dem Puhlmannkino als Folterkeller berüchtigt. Funktionäre, deren man habhaft wurde, brachte die SA diese häufig sofort in das SA-Stabsquartier in der Hedemannstr. 5, manchmal auch in die SA-Kaserne in der General-Pape-Str. oder in das berüchtigte Columbia-Haus.
Vielleicht hat jemand von Ihnen um die Ecke, in der Rykestr. 3, schon einmal die dort befindliche Gedenktafel wahrgenommen. Sie erinnert an den jungen Funktionär Franz Huth, aufgewachsen in einem Arbeiter/innenhaushalt mit einem gelähmten Vater und acht Geschwistern in Prenzlauer Berg. Durch seinen Fleiß und seine Intelligenz war er schon in jungen Jahren Leiter der KPD-Schule in Zepernick geworden. Er war ein lebensbejahender, humorvoller und naturverbundener junger Mann, mit Liebe zum Paddeln und zum Kochen, zugleich Leiter des Kampfbundes gegen den Faschismus. Die Nazis sahen in ihm einen gefährlichen Gegner und hassten ihn. In der Nacht vom 21. zum 22. März 1933 prügelten sie den 27-Jährigen im SA-Quartier Hedemannstraße zu Tode.
Ebenfalls ermordet wurde der erst 18-jährige Bäckerlehrling Siegbert Kindermann. Er stand acht Tage vor Abschluss seiner Lehrzeit und wohnte mit seinen Eltern und 13 Geschwistern in der damaligen Franseckystr. 5, heute Sredzkistraße. Im Hausflur der elterlichen Wohnung verhaftet, wurde er erst in den „Puhlmannkeller“ geschleppt und von dort aus ebenfalls in die Hedemannstr. gebracht. Er war Mitglied der „Roten Hilfe“ und sollte Namen nennen. Nach schwersten Misshandlungen, so dass er nicht mehr allein gehen konnte und von zwei SA-Männern zum Gang auf die Toilette gestützt werden musste, wurde er aus dem Fenster der dritten Etage auf den gepflasterten Hof geworfen – andere Häftlinge hatten ihn kurz zuvor gesehen, hörten ihn aufschreien und anschließend einen dumpfen Aufprall. Er starb am 17. März 1933 – morgen vor 80 Jahren.