Kundgebung zur Auschwitz-Befreiung in Pankow
25. Januar 2013
Rund 100 Menschen erinnerten am 25. Januar 2013 in Pankow an die Auschwitz-Befreiung vor 68 Jahren. Die Gedenkveranstaltung fand vor dem Ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in der Berliner Straße nahe des Garbatyplatzes statt, aufgerufen hatten unter anderem die Kommission Bürgerarbeit Pankow und die VVN-BdA Berlin-Pankow e.V.. Auch ein Redner unseres Vereins war dabei, dessen Beitrag wir hier dokumentieren.
Liebe Pankowerinnen und Pankower, liebe Teilnehmende,
viele von uns stehen jedes Jahr hier auf dieser Kundgebung, um der Befreiung von Auschwitz durch die sowjetische Armee am 27. Januar 1945 zu gedenken. Was 1945 endete – der organisierte Massenmord an den europäischen Juden und Jüdinnen – hat auch das einst reiche jüdische Leben in Pankow zerstört.
Die Pankower Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und Antifaschistinnen (VVN-BdA) betrachtet es als eine ihrer wesentlichen Aufgaben, die Erinnerung an das Geschehene wachzuhalten, um zum Widerstand gegen den Antisemitismus und Rassismus von heute aufzurufen. Deswegen führen wir übermorgen, am 27. Januar, wieder einen Rundgang zu ehemaligen Stätten jüdischen Lebens in Pankow durch, zu dem ich Sie herzlich einladen möchte. Wir treffen uns am Sonntag um 11h an dieser Stelle.
Symbolische Daten wie der 27. Januar geben Anlass zum Nachdenken und Gedenken. Dies gilt besonders in diesem Jahr, 2013, das ein außerordentliches Gedenkjahr ist. In fünf Tagen, am 30. Januar, jährt sich zum 80. Mal die Übertragung der Regierungsgewalt in Deutschland an Adolf Hitler, Viele Tage des Jahres 2013 lassen sich mit einem wichtigen historischen Ereignis verbinden: Vom Brand des Reichstags zur Auflösung der Parteien und Gewerkschaften, zur Einrichtung der ersten KZs und Folterkeller der Nazi-Schergen bis zur Bücherverbrennung, um nur einige wenige Eckpunkte zu nennen.
Dies soll Anlass für uns sein, daran zu erinnern, wie es zur Herrschaft der Nazifaschisten kommen konnte, um Lehren aus der Geschichte ziehen zu können, damit es nie wieder zu ähnlichen Gräueln kommt. Die Herrschaft der Nazis kam nicht vom Himmel auf die Deutschen nieder. Sie kam auch nicht aus irgendwelchen unergründlichen Tiefen des Schicksals oder aus Abgründen der menschlichen Seele. Schon gar nicht kam sie von den Rändern der Gesellschaft, von extremen politischen Minderheiten oder aus dem Verbrecher-Milieu. Der Nazifaschismus kam aus der Mitte der Gesellschaft – und er kam von oben, von den sogenannten „Eliten“ aus Wirtschaft, Staatsapparat, Militär und Kirchen.
Über 40 Prozent der wahlberechtigten Deutschen hatten für die Nazi-Partei gestimmt – sicher nicht alles fanatische Anhänger der Nazi-Ideologie, aber jedenfalls empfänglich für nationalistische, antikommunistische und antisemitische Parolen. Neben den Mitläufern gab es aber auch eine nach Millionen zählende fanatisierte und ideologisierte Gefolgschaft. Der Anhang der Nazis kam aus allen gesellschaftlichen Schichten, auch aus der Arbeiterschaft, aber nirgendwo fanden die Nazis mehr begeisterte Gefolgsleute als im Bürgertum. Dieser Massenanhang, so erschreckend er uns heute vorkommt, hätte aber niemals zur Machtübernahme ausgereicht. Dazu brauchte es die politische Entscheidung rechter Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse, der Chefs von Polizei und Militär sowie der Kirchenoberen für Hitler.
Welche aktuellen Lehren können wir aus diesen historischen Erkenntnissen ziehen? 2013 ist nicht 1933, die Bundesrepublik Deutschland ist nicht die Weimarer Republik, und auch die deutschen Führungsgruppen haben sich gewandelt, genauso wie die gesamte Gesellschaft. Aber wir können aus der Geschichte lernen, dass wir nicht nur die offensichtlichen Nazis von NPD und Kameradschaften, nicht nur die bekennenden Rassisten und Rechtspopulisten im Blick haben sollten, sondern auch die Spitzen der Gesellschaft, den Staat und seine Behörden sowie die Haltungen weiter Teile der Bevölkerung.
Lassen Sie mich dazu bitte einige Beispiele nennen:
Seit nunmehr über einem Jahr will man uns glauben machen, dass die unglaublichen Geschehnisse rund um die neonazistische Terrorzelle NSU lediglich eine Kette von „Versäumnissen“, „Pannen“ und Kommunikationsproblemen der Sicherheitsbehörden darstellen. Wenn dem so sein sollte – bleibt dann nicht nur die Schlussfolgerung, dass wichtige Teile von Polizei und Geheimdiensten in Deutschland unzurechnungsfähig und untauglich sind? Doch die Wahrheit ist wahrscheinlich eine viel schlimmere und furchterregendere: Wesentliche Teile der Polizei und der Geheimdienste in Deutschland sind blind gegenüber der mörderischen Gefahr von rechts, weil sie selbst zutiefst geprägt von Rassismus sind, weil ihre Hauptsorge stets den Ausländern, den Linken und den Demokraten gilt, nicht aber den Nazi-Mördern, vom alltäglichen Rassismus und der Verachtung gegen Frauen und Homosexuelle ganz zu schweigen. Mehr noch: Der schlimme Verdacht, dass rechte Seilschaften in den Geheimdiensten mit Neonazis paktiert und ihre Machenschaften gezielt vertuscht haben, lässt sich nicht ausräumen.
Ein weiteres Beispiel: Wie geht Deutschland mit Flüchtlingen um? Wenn Menschen aus Südosteuropa der dortigen Misere und rassistischen Diskriminierungen zu entkommen versuchen, dann hat ein CSU-Bundesinnenminister nichts Dringenderes zu tun, als diesen Flüchtlingen ihre Aufenthaltsberechtigung pauschal abzusprechen. Als Flüchtlinge im Herbst und Winter 2012 einen Aufsehen erregenden Kampf für bessere Lebensbedingungen führten und bei Frost und Schnee ein Protestcamp am Brandenburger Tor errichten, nahm ihnen die Berliner Polizei die Schlafsäcke und Decken weg, um sie zum Gehen zu zwingen. Muss man sich noch über den weitverbreiteten Rassismus in der deutschen Gesellschaft wundern, wenn Spitzenpolitiker und Beamte mit derartig schlechtem Beispiel vorangehen?
Immer wieder weisen Studien und Umfragen nach, wie weit verbreitet menschenverachtendes Gedankengut in der deutschen Gesellschaft ist. Die jüngste wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema nennt sich „Die Mitte in der Krise“ und wurde von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben. Sie weist bei ungefähr 20 Prozent der Befragten antisemitische Haltungen nach. Dieser Antisemitismus äußert sich meiner persönlichen Meinung nach auch in einseitigen, verzerrten und voreingenommenen Stellungnahmen zum Staat Israel und zu den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten. Auch hier sind es einflussreiche, in den Medien stark vertretene Stichwortgeber, die einen gegen Israel gerichteten Antisemitismus befeuern und fördern.
Was diese Beispiele uns zeigen, ist Folgendes: Wir müssen nicht nur auf die offensichtlichen Nazis schauen, sondern müssen auch die Meinungsführer, die Massenmedien, die Behörden, die Akteure aus Politik, Kultur und Wirtschaft ebenso kritisch betrachten wie den Stammtisch und die sogenannte „Stimme des Volkes“. Im Zweifel gegen den Strom, im Zweifel gegen die Mehrheit, im Zweifel gegen die Ton Angebenden, gegen die Mächtigen, im Zweifel für den Zweifel – diese Lehren können wir ziehen.
Ich danke Ihnen im Namen der VVN-BdA Pankow für ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen und uns ein erfolgreiches Jahr im Eintreten gegen Rassismus und Antisemitismus!