Veranstaltungen in Berlin-Buch

18. Mai 2015

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Mi, 10. Juni 2015 – 19.00 Uhr – Bucher Bürgerhaus
Neonazis in Buch – Eine Bestandsaufnahme

Nachfolgend dokumentieren wir außerdem unseren Redebeitrag anlässlich der Kundgebung zum Jahrestag der Befreiung am 08. Mai in Berlin-Buch.

Mi, 10. Juni 2015 – 19.00 Uhr – Bucher Bürgerhaus
Neonazis in Buch – Eine Bestandsaufnahme
Berlin-Buch hat ein Naziproblem. Spätestens seit der Ankündigung, dass
das Containerdorf für Flüchtlinge an der Karower Chaussee gebaut werden
soll, erhielt die örtliche Neonaziszene gehörigen Zulauf. Tonangebend
ist in diesem Zusammenhang die NPD. Die lokale NPD ist alles andere als
harmlos. So veranstaltet die NPD eine Kampagne gegen ihre Kritiker_innen
und hält Kundgebungen vor ihren Wohnungen ab. Immer wieder kommt es zu
Übergriffen, Bedrohungen und Propaganda-Aktionen. Da vielen das Ausmaß
der lokalen Neonaziaktivitäten nicht bewusst ist, wollen wir mit unserem
Vortrag darüber informieren.

Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu
machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen
angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der
Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder
sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind,
den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.

Weitere Termine in Buch:
24. Mai 2015 – 15.00 Uhr – S-Bhf. Buch – Gedenken an Dieter Eich
13. Juni 2015 – 13.30 Uhr – Demonstration gegen Rassismus
12./13. Juni 2015 – VOSIFA: Openair for open minds

Redebeitrag der VVN-BdA Berlin Pankow anlässlich der Kundgebung zum Jahrestag der Befreiung am 08. Mai in Berlin-Buch.

Wir verlangen, dass der achte Mai ein offizieller Gedenktag und Feiertag wird! Für uns von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ist der achte Mai in einem ganz besonderen Sinne ein Tag der Befreiung. Denn viele unserer älteren Kameradinnen und Kameraden erlebten am achten Mai 1945 tatsächlich und buchstäblich die Befreiung – als Insassen der nazistischen Lager und Kerker, auf Todesmärschen, als Soldaten wider Willen in der Nazi-Wehrmacht, als Widerständler im Untergrund zerbombter Städte, in den Verstecken der Verfolgten, im Exil ferner Länder, als Kämpfende in Partisanenverbänden und in den Armeen der Anti-Hitler-Koalition. Und unsere älteren VVN-BdA-Mitglieder wissen auch ganz genau, dass die übergroße Mehrheit der Deutschen den achten Mai 1945 eben nicht als Befreiungstag erlebt und empfunden hat, sondern als Tag des Zusammenbruchs, der Katastrophe, der Niederlage. Die Mehrheit der Deutschen war 1945 fast wahnsinnig vor Angst vor der Vergeltung für die ungeheuerlichen deutschen Verbrechen – Verbrechen, von denen die allermeisten in größerem oder geringerem Umfange Kenntnis hatten. Der achte Mai 1945 war, um es mit dem Historiker Götz Aly zu sagen, der Tag der Befreiung der Deutschen von sich selbst.

In der DDR war der 8. Mai ein offizieller Gedenktag. Nicht nur von oben verordnet, sondern vielfach auch von unten her entstand eine eigene Kultur, diesen Tag zu begehen. In Westdeutschland hingegen herrschte jahrzehntelang die Sicht der Nazi-Täter vor; vom Tag der Befreiung war höchstens am linken Rand sowie bei den Verfolgten und ihren Nachkommen die Rede. Erst 1985 würdigte ein Bundespräsident den achten Mai als Tag der Befreiung. Diese Deutung setzt sich seither immer mehr durch. Das steht im Zusammenhang mit den Bemühungen, einen neuen deutschen Nationalstolz in bewusster Abgrenzung zum völkischen Erbe der Nazis zu etablieren.

Die Befreiungsmächte der Anti-Hitler-Koalition haben die menschliche Zivilisation vor der Nazi-Barbarei gerettet. Denn wenn diese Staaten Nazideutschland nicht bezwungen hätten, dann wäre eine internationale Rasse-Ordnung errichtet worden. Für viele, viele Millionen Menschen hätte es in einem solchen Nazireich nur den Tod gegeben. Für noch mehr Millionen Menschen hätte es nur die Sklaverei gegeben. Hätte Deutschland den Krieg gewonnen, dann wäre jede Hoffnung auf Freiheit und Menschlichkeit für unabsehbare Zeit erstickt worden. Deswegen hat der Sieg der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und der anderen Alliierten zumindest die Aussicht auf eine menschlichere Welt offen gehalten. In diesem Sinne war es eine Befreiung zur Möglichkeit der Befreiung.

Genau dies meinte unser verstorbener VVN-BdA-Kamerad Peter Gingold, ein jüdisch-deutscher Kommunist und Widerstandskämpfer, als er von der Befreiung als „Morgenröte der Menschheit“ sprach. Genau dies meinten auch die aus allen Ländern Europas stammenden Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald, als sie nach ihrer Selbstbefreiung einen Schwur ablegten, in dem es hieß: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Eine neue Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Im Schwur von Buchenwald ist die Mahnung enthalten, dass die Wurzeln des Nazismus auch nach seiner Niederlage fortbestehen, und dass der Sieg über den Faschismus erst dann unumkehrbar ist, wenn eine menschenwürdige Gesellschaft der Freiheit, der Gleichberechtigung, der gleichen Teilhabe und der Solidarität gewonnen ist.

Und wie steht es damit in Deutschland heute, 70 Jahre nach der Befreiung vom Nazismus? Hier ein Beispiel aus der großen Politik – der NSU-Komplex. Wir wissen heute, dass deutsche Behörden jahrelang keinen rassistischen Hintergrund der NSU-Morde in Betracht ziehen wollten und lieber gegen die Opfer und ihre Angehörigen ermittelten – weil der Staatsapparat selbst in Teilen rassistisch geprägt ist. Neonazis wurden als V-Leute finanziell unterstützt und vor polizeilicher Verfolgung geschützt. Bis heute wird diese Komplizenschaft nach Kräften vertuscht, werden Akten vernichtet und Auskünfte verweigert. Wir haben ja schon die Fähigkeit verloren, uns über die ungeheuerlichen Enthüllungen zu empören, während sich der Skandal immer mehr ausweitet und auffällig oft wichtige Zeugen versterben. Ist die gefährliche Nähe zwischen Neonazis und Geheimdiensten etwa keine Wurzel des Nazismus, die wir vernichten sollten?

Noch ein Beispiel aus der großen Politik – das Flüchtlingselend. Wie viele Menschen auf der Flucht sind wohl schon an den Außengrenzen Europas umgekommen? Zehntausende? Hunderttausende? Oder gar schon Millionen? Niemand weiß es. Angesichts fast täglicher Katastrophen im Mittelmeer diskutiert die herrschende Politik über schärfere Maßnahmen gegen sogenannte „Schleuserkriminalität“. Das bedeutet nichts anderes als noch mehr Druck auf die Flüchtlinge, noch mehr geschlossene Fluchtrouten, noch größere Auslieferung an kriminelle Netzwerke, noch mehr Tote. Die Eiseskälte, mit der das Massensterben organisiert wird, weil die Flüchtenden nicht zu uns gehören sollen, weil sie als wirtschaftliche Belastung gelten – ist diese Kälte nicht eine Wurzel des Nazismus, die wir vernichten sollten?

Was geschieht denjenigen Geflüchteten, die es nach Deutschland geschafft haben, wenn sie hier in Buch ankommen, in der Containerunterkunft? Sie werden von Neonazis und anderen Rassisten angepöbelt, bedroht und abfotografiert. Erst in der vergangenen Nacht haben Unbekannte Sylvester-Böller in der Umgebung der Unterkunft gezündet. Also auch das gehört zur Realität vor unserer Haustür, 70 Jahre nach der Befreiung. Nicht nur die Wurzeln des Nazismus existieren weiter, auch der Nazismus selbst hat noch Anhänger. Erst heute haben sie hier in Buch eine Kundgebung abgehalten, ganz in unserer Nähe am sowjetischen Ehrenmal.

Freilich, die Bucher Neonazi-Clique ist ein jämmerlicher Haufen. Sie laufen einem größenwahnsinnigen Möchtegern-Führer namens Christian Schmidt hinterher, der sich unheimlich schlau und wichtig vorkommt. Ja, in einem kleinen Vorort, in einer Truppe Nazis, die noch dumpfer sind als er, da kann einer wie der Christian Schmidt noch was darstellen. Eine Blitzkarriere in der Berliner NPD, diesem zerrütteten Haufen, hat er hingelegt und darf sich stolz „Vorsitzender des Kreisverbandes Pankow“ nennen. Dabei ist er nur ein Blender, der grad sein Leben verpfuscht und wohl schon mit einem Bein im Knast steht.

Die Versuchung ist groß, die Bucher Neonazi-Clique in all ihrer Peinlichkeit einfach nur auszulachen. Aber das wäre ein Fehler. Es sind doch Anhänger einer mörderischen Ideologie, und sie leben diese Ideologie auch aus. Das haben die Angriffe und Propagandaaktionen der Bucher Neonazis bereits hinlänglich bewiesen. Von diesen Neonazis geht eine konkrete Gefahr für die Flüchtlinge, für die Mitarbeiter/-innen der Container-Unterkunft, für engagierte Nazigegnerinnen und -Gegner im Ortsteil Buch aus. Besonders schlimm ist, dass die Neonazis bei einem gewissen Teil der Bucher Bevölkerung Anklang finden und sich vermehren konnten.

Um die Neonazis hier in Buch zurückzudrängen, werden wir einen langen Atem brauchen, aber den haben wir auch. Wir kommen wieder, wir hören nicht auf. Das Vermächtnis des achten Mai, des Tages der Befreiung, lebt weiter.